"Eddington"-Kritik: Phoenix vs. Pascal im besten Film des Jahres
Von Franco Schedl
Eines ist hier schnell klar: Die US-Welt im Kleinen will Ari Aster in seinem neuen Film abbilden und wählt dazu eine fiktive Kleinstadt namens Eddington in New Mexiko. Dass es keine heile Welt sein wird, versteht sich bei diesem Regisseur eigentlich von selbst. Verschärfend kommt die Lage im Corona-Jahr 2020 hinzu. Die Einwohner igeln sich im Lockdown ein und es bedarf in der angespannten Lage nur eines kleinen Funkens, damit alles hochgeht und diese Gesellschaft im völligen Chaos versinkt.
Ein Sheriff mit Ambitionen
Der örtliche Sheriff Joe Cross (Joaquin Phoenix) hat eigentlich das Zeug zum Verlierer: ungelenk, übergewichtig, unprofessionell und nicht sehr durchsetzungsfähig, egal, ob im Job oder daheim, wo eine labile Frau (Emma Stone) sitzt, deren einzige Beschäftigung im Anfertigen bizarrer Puppen besteht. Außerdem hat sich dort auch seine Schwiegermutter (Deirdre O'Connell) einquartiert und nervt alle mit ihren pausenlosen Verschwörungstheorien. Es ist nicht schwer, Cross wie eine Witzfigur erscheinen zu lassen.
Trotzdem hat der Mann größere Ambitionen: Ihm genügt das Vertreten des Gesetzes nicht, sondern er möchte in die Politik einsteigen und sieht sich bereits als Eddingtons künftiger Bürgermeister. Klar, dass er mit seinen Plänen beim derzeit amtierenden (Pedro Pascal) auf keine Gegenliebe stößt. Noch dazu stecken sehr persönliche Gründe hinter diesem öffentlich ausgetragenen Machtkampf. Welche Katastrophe an Gewalt und Zerstörung diese Rivalität heraufbeschwören wird, kann aber keiner von beiden ahnen.
Themenreich und provokant
Mit Schärfe und Bissigkeit seziert Aster unbarmherzig - aber zugleich voller Teilnahme für seine Figuren - das zeitgenössische Amerika. Einen besseren und bedeutenderen Film hat er bisher noch nicht vorgelegt. Er greift alle Themen, Entwicklungen, Reizworte und Slogans der vergangenen Jahre auf und verquickt diese Mischung aus Covid-Gegnerschaft, Black Life Matters, Missbrauchsopfer, Rassismus, Aktivismus, Profitgier, einem im Hintergrund drohenden Trump und den allgegenwärtigen Social-Media-Kanälen zu einer Geschichte von tragischer Folgerichtigkeit, die immer mehr Eskalationspotential offenbart – und da alles in New Mexiko spielt, präsentiert sich "Eddington" über weite Strecken auch als regelrechter Neowestern, bei dem viele Schusswaffen losgehen.
Nächster Oscar für Phoenix in Sicht?
Pascal, den man in letzter Zeit leider allzu oft in allzu ähnlichen Rollen zu sehen bekommen hat, zeigt sich hier endlich von einer wohltuend anderen Seite. Emma Stone beweist, dass sie auch ohne Lanthimos' Regie anspruchsvolle Aufgaben bewältigen kann. Austin Butler tritt in einer wichtigen Nebenrolle als kampflustiger Erweckungsprediger mit schwerer Vergangenheit in Erscheinung, und Joaquin Phoenix spielt sowieso in einer ganz eigenen Liga - mit seiner tragischen Sheriff-Figur hat er sich eindeutig eine weitere Oscarnominierung verdient. Aster weiß die Stärke seines Hauptdarstellers klar zu schätzen, weshalb er ihn nach "Beau Is Afraid" gleich erneut engagiert hat.
Manchmal ist man direkt irritiert und fragt sich, ob der Regisseur nicht doch eher Martin McDonagh heißt, denn "Eddington" erweist sich als würdiges Werk in der Nachfolge von "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" (was bei der Wahl von fast gleichlautenden Ortsnamen wohl kein Zufall sein kann). Dieser böse Kleinstadt-Thriller ist jedenfalls einer der aufregendsten und wichtigsten Filme des Jahres, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Vielleicht erscheint er manchen zu zynisch, weil Aster wirklich nach allen Seiten austeilt und niemanden schon. Seine Figuren verhalten sich oft irrational, unbedacht und gemein; aber das tun wir doch auch alle ab und an. That's life – und nicht nur in Eddington, New Mexiko.
5 von 5 Ohrfeigen für Gesetzeshüter
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