Alaqua Cox als Maya Lopez in "Echo"

Alaqua Cox als Maya Lopez in "Echo"

© Marvel Studios 2023

Filmkritiken

"Echo": Die neue MCU-Serie ist das bessere "Secret Invasion"

Die neue Marvel-Serie "Echo" mit einer gehörlosen Heldin kommt mit wenig auditiven Dialogen aus, hat aber dafür umso mehr zu sagen.

von

Manuel Simbürger
Manuel Simbürger

01/10/2024, 05:05 AM

In unserer Rubrik "Lohnt sich das?" stellen wir euch einmal wöchentlich einen Streamingtitel (Film oder Serie), der in aller Munde ist, vor, nehmen ihn genauer unter die Lupe und stellen für euch die altbekannte Frage: "Lohnt sich das überhaupt?" Lohnt es sich, dafür Zeit zu investieren? Ein Abo abzuschließen? Oder ein Abo zu beenden?

Diesmal: (Die ersten 3 Folgen von) "Marvel's Echo" auf Netflix

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All eyes on Echo: In "Hawkeye" wurde die gehörlose Kampfexpertin Maya Lopez (Alaqua Cox) eingeführt, damals noch auf der Gegenseite des Pfeil-und-Bogen-Avengers, schließlich hatte Adoptivonkel Kingpin (Vincent D'Onofrio) sie einer emotionalen Gehirnwäsche unterzogen und die junge Frau mit indigener Abstammung im Glauben gelassen, Daredevil hätte ihren Vater getötet.

Nun bekommt Maya endlich ihre eigene Serie, womit "Echo" also ein Spin-Off von "Hawkeye" ist. Was durchaus überraschend ist, da die Figur damals gerade mal lauwarm aufgenommen wurde; weder Kritiker:innen noch Publikum konnten sich für Kingpins neuestes Opfer (oder: Schachfigur in seinem perfiden Gangster-Psychospielchen) begeistern. Noch dazu ist die Comic-Figur nur Hardcore-Fans bekannt – und nach all den Flops, die das MCU 2023 am laufenden Band ablieferte, war die Neugier und vor allem die Erwartung auf "Echo" gegen Null gesunken. 

Als dann auch noch publik wurde, dass MCU-Chef Kevin Feige massive Nachdrehs verordnete, weil er angeblich "entsetzt" über das ursprüngliche Endergebnis gewesen sein soll, und die eigentlich geplante Episodenzahl von acht auf fünf (!) gekürzt wurde, schüttelte die internationale Geek-Gemeinde genervt den Kopf. Man kann also getrost sagen: "Echo" stand von Beginn unter alles andere als einem guten Stern.

Und trotzdem: Die neue MCU-Serie hätte es mehr als verdient, zum Hit zu werden. 

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Worum geht's in "Echo"?

Nachdem Maya auf Ersatz-Papa Kingpin (aka Wilson Fisk) im Finale von "Hawkeye" aus Enttäuschung, Wut, Rache und Trauer geschossen hat, ist sie nun auf der Flucht vor Fisks Leuten – und die sind wirklich überall als Spion:innen positioniert, wie sich bald herausstellt. Obwohl: Ob Maya, natürlich nach wie vor ein emotionales Wrack, tatsächlich auf der Flucht ist oder doch Kingpins Emperium übernehmen will (oder einfach nur die Vergangenheit hinter sich lassen möchte), wird zumindest in den ersten drei Episoden der Serie nicht ganz deutlich, Signale gibt es sowohl für dies als auch jenes.

Egal: Maya beschließt, natürlich stilecht mit Motorrad, New York zu verlassen und in ihren kleinen ländlichen Heimatort zurückkehren. Dort muss sie sich nicht nur mit ihrer entfremdeten Familie, sondern auch ihren indogenen Wurzeln auseinandersetzen. Als wäre das nicht schon (emotionale) Arbeit genug, ist ihr auch Kingpins Crew und Fisk höchstpersönlich (der natürlich nicht gestorben ist, aber ein Auge verloren hat) auf den Fersen – und die gehen bekanntlich nicht gerade zimperlich vor ...

Echo ganz im düsteren Spotlight von Marvel

Zugegeben: Die Handlung von "Echo" ist wirklich sehr schnell erzählt, aber das sollte keinen davon abhalten, der Serie eine Chance zu geben. "Echo" ist die erste Produktion, die unter dem Label "Marvel Spotlight" erscheint. Hier wird Marvel ab nun in (un?)regelmäßigen Abständen Serien veröffentlichen, die nicht eng mit dem restlichen MCU verbunden sind, sondern auch für sich genossen werden können – und die vor allem um einiges geerdeter, düsterer, brutaler und somit erwachsener daherkommen.

Klingt gut? Klingt gut! Und tatsächlich bringt "Echo" frischen Wind in das müde gewordene MCU und lässt dieses somit endlich wieder befreit(er) atmen: Da in der ersten Hälfte der ersten Episode Mayas Origin-Story (also alle Ereignisse vor und während "Hawkeye") zwar schnell, aber sehr effektiv und intensiv abgehandelt werden, kennt man sich aus, auch wenn man die Jeremy-Renner-Serie nicht gesehen hat.

Ganz für sich alleine steht "Echo" natürlich trotzdem nicht, immerhin bekommen wir Kingpin und sogar Daredevil (Charlie Cox) wieder zu Gesicht (der in der Serie angeblich auf der Suche nach einem/r alten Verbündeten sein soll – Jessica Jones (Krysten Ritter) etwa?). Nach Aussagen von D'Onofrio soll "Echo" die heiß ersehnte MCU-Eingliederung von Daredevil in "Daredevil: Born Again" einleiten – und zwar auch in Sachen Stil und Storytelling.

Das Schicksal der Familie anstatt des Universums

Denn "Echo" markiert allem Anschein nach den Beginn von Marvels "Streetlevel-Projekten" und steht somit ganz in der Tradition von alten (Netflix-)Serien wie "Marvel's Daredevil", "Marvel's Jessica Jones", "Marvel's Punisher", aber auch von beliebten Figuren wie Hawkeye oder Black Widow (und ja, sogar DC's Batman!). Da passt auch Big Bad Kingpin perfekt ins Serien-Bild: Er soll der "Streetlevel-Thanos" dieser Projekte werden, so "Echo"-Executive Producer Brad Winderbaum.

Maya Lopez muss also nicht den Weltuntergang verhindern. Teleportiert sich nicht von einem Universum zum anderen. Muss nicht gegen Alien-Invasionen ankämpfen und besitzt auch keine Superkräfte. Kosmische Konsequenzen werden zu höchstpersönlichen Konsequenzen, zum privaten Rachefeldzug und zur seelenstärkenden Selbstfindung. "Echo" ist endlich eine durch und durch character-driven MCU-Serie, die verstanden hat, dass Großes nicht immer im Epischen, sondern im Intimen zu finden ist. 

Hier geht's nicht um das Schicksal des Universums, sondern um das Schicksal der Familie. Die eigene Seele, bedroht vom traumatisierten Ich-Entwurf. Maya flüchtet vor ihrer falschen Familie (Kingpin) und findet dabei zu ihrer richtigen zurück. Doch wie erneut Liebe und Vertrauen zulassen, wenn die mühsam errichteten Schutzmauern vor erneuten Traumata bewahren sollen?

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Kraftvolle Empowerment-Message

Damit der (kraftvolle) Fokus aufs Intim-Geerdete auch funktioniert, muss die Protagonistin natürlich begeistern, in ihren Bann ziehen, trotz aller Unterschiede eine Beziehung zum Publikum herstellen können. Alaqua Cox (Maya Lopez ist ihre erste Schauspielrolle!) macht ihren Job wunderbar und bemerkenswert. Cox ist selbst gehörlos, was natürlich erheblich zur Authentizität der Figur und ihrer Welt rund um sie beiträgt. Kudos für diese Casting-Entscheidung! Die Schlüsselszenen in Mayas Heldinnen-Reise kommen gänzlich ohne Geräusche (abgesehen von einem intensiv-dumpfen Klopfen) aus, die Welt wird in diesen Momenten nicht nur für sie, sondern auch für die Zuschauer:innen still – was Gänsehaut sowie eine starke Verbindung zur Figur auslöst. 

Bei der Gebärdensprache wurde immens viel Wert auf Korrektheit gelegt, ebenso bei der Darstellung von Mayas indigenen Wurzeln (Regisseurin Sydney Freekand wuchs selbst in einem Navajo-Reservat auf; zudem wurden Expert:innen bei den Dreharbeiten hinzugezogen). Obendrein lebt sie mit einem amputieren Bein. Das mag auf den ersten Blick etwas too much und betont woke anmuten, doch Maya verkommt niemals zu einer abgehakten Checkliste oder spröden Charakterschablone: Maya und auch (alle wichtigen) Nebenfiguren sind dreidimensionale Figuren mit Ecken und Kanten, die ihr Anders-Sein in ihre individuelle Stärke umwandeln, ja gar zelebrieren. Aber sich nicht davon charakterisieren lassen.

Die körperlichen und seelischen Narben (Cox schafft es mühelos, den Schmerz Mayas auf das Publikum zu übertragen) machen Maya nicht zum Opfer, sondern zur Kämpferin. "Kingpin had it's run. Now it's time for a Queen", betont sie beinahe störrisch. Diversity wurde im MCU noch nie so kraftvoll (und authentisch) dargestellt wie in "Echo", die Empowerment-Message ist nicht aufgesetzt, sondern ist in der DNA der Figur bzw. der Serie eingeschrieben.

Die Kraft kommt aus der Stille

Da "Echo" vergleichsweise mit wenig (auditiven) Dialogen auskommt, bezieht die Serie ihre Kraft aus der Stille – vielleicht kommen die Actionszenen (mit fetziger Rockmusik untermalt!) deshalb umso wuchtiger daher, schlagen sie doch jeweils wie eine (kleine) Bombe ein. Die Gewalt in "Echo" ist brutal, hier sterben tatsächlich echte Menschen, bluten echte Menschen. Man hört Knochen brechen, sieht ein blutverschmiertes Gesicht einer Leiche in Großaufnahme. Die Kampfszenen sind wunderbar choreografiert, besonders beim ersten Aufeinandertreffen von Maya und Daredevil stockt einem der Atem. 

Dass sich "Echo" entschied, Mayas Comic-Gabe, den Kampfstil ihres Gegenübers mühelos zu kopieren (deshalb der Name "Echo"!), nicht zu übernehmen, ist begrüßenswert, trägt dies doch zur bodenständigen Aura bei und macht Maya zu einer noch tragischeren Figur: Bis zur Perfektion wurde sie von Kingpin zur emotionslosen Killermaschine ausgebildet, was Erinnerungen an Filme wie "Léon – Der Profi" oder "Wer ist Hanna?", aber auch an die Beziehung zwischen Sunnydales Bürgermeister und Jägerin Faith in "Buffy" aufkommen lässt. 

Besonders bemerkenswert: "Echo" kommt vollständig ohne den typischen Marvel-Humor aus, Dramatisches darf hier endlich dramatisch sein und in die Seele des/der Zuschauer:in einsickern, ohne sofort wieder von einem seichten Gag abgelöst zu werden. Die Serie umgibt eine erfrischende Aura der permanenten Gefahr, die besonders dann anschwillt, wenn Kingpin auftaucht – wie immer von D'Onofrio furchteinflößend-intensiv und präsent dargestellt. 

Nicht perfekt, aber macht Hoffnung

Nein, "Echo" ist nicht perfekt: Episode 2 und 3 können mit dem Piloten nicht ganz mithalten, das Pacing ist holprig, mitunter stagniert die Story etwas, verlässt sich dann teils doch auf zu viel Action anstatt auf intime Charaktermomente. Zudem wird die Story zwischen Kingpin und Maya (Daredevils Erzfeind empfindet tatsächlich väterliche Zuneigung zu Maya, was ihn noch perfider und undurchsichtiger erscheinen lässt und die Toren für eine tiefgreifende Psychoanalyse von toxischen Familienstrukturen und Machmissbrauch öffnet) um einiges fesselnder und faszinierender erzählt als jene rund um Mayas indigene Wurzeln, die ein bisschen vorhersehbar ist.

Soll sein. Ist okay. Nach all den qualitativen (und finanziellen) Bauchflecken des vergangenen Jahres freut man sich, dass das MCU anscheinend immer noch die Kraft hat, sich zu kreativen Höhepunkten aufzuschwingen, auch wenn sich diese nicht auf derart schwindelerregenden Ebenen befinden mögen, dass sie einen Hype auslösen. "Echo" mag eine Nischenserie sein, die aber den Mut hat, neue Wege zu beschreiten und somit einiges besser macht als so manch vorab hoch angepriesene Titel (im Vorfeld zu "Echo" war man seitens Marvel auffällig zurückhaltend) . Denn "Echo" ist das, was "Secret Invasion" um jeden Preis sein wollte: düster, geerdet, brutal, intim, mit (mittel)großer Suspense und dreidimensionalen Charakteren. Ein gelungener Mix aus Drama, Action und Thriller.

Um mitreißende Spannung zu überzeugen, braucht es eben nicht immer eine Alien-Invasion oder ein Multversum-Chaos. Manchmal reicht es vielmehr, zu zeigen, dass alleine das irdische Leben zugleich das größte Geschenk als auch das größte Monster sein kann. Wäre schön, wenn auch Marvel das nun endlich verstanden hätte. 

4 von 5 Sternen

Für Fans von: "Marvel's Daredevil", "Marvel's Jessica Jones", "Marvel's Luke Cage", "Marvel's The Punisher", "Hawkeye", "Black Widow", "Wer ist Hana?", "Léon – Der Profi"

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