Filmkritiken

DER STURZ NACH OBEN

von

Alexandra Seibel
Alexandra Seibel

02/07/2013, 11:00 PM

Auch im Angesicht echter Trauer muss die Krawatte sitzen. Zumindest bei einem französischen Spitzenpolitiker. Mitten in der Nacht ist er aus dem Bett gesprungen, um zu einem verheerenden Busunglück ins Ardennengebirge zu reisen. Jetzt ist er hier, um als Erster den Betroffenen sein Beileid auszusprechen. Vor laufender Kamera, versteht sich. Und während sich hinter ihm verzweifelte Menschen auf ihre verunglückten Kinder werfen, findet er, der Politiker, die medial wirksamen Worte dazu: „Die Ardenne trägt Trauer

Wie schön gesprochen. Und wie einfühlsam. Erst danach,wenn keiner mehr herschaut, übergibt er sich.

Mit dem Busunglück ist der Höhepunkt des Tages für Verkehrsminister Saint-Jean jedoch noch keineswegs erreicht. Kaum hat er die Katastrophe medial halbwegs souverän überstanden, muss er sich mit Angriffen aus der eigenen Partei herumschlagen. Diese will unbedingt die Bahnhöfe privatisieren – gegen seinen Willen.

Der Alltag eines Spitzenpolitikers, so erzählt es der französische Regisseur Pierre Schoeller , besteht in erster Linie aus Schadensbegrenzung und Imagepflege. Umringt von seinen PR-Beratern und Einflüsterern, jagt sein Saint-Jean durch Termine, hetzt von einer Sitzung zur nächsten und versucht, mit den politischen Manövern seiner Umgebung Schritt zu halten.

Das Bemerkenswerte und durchwegs Unterhaltsame in Schoellers hervorragender Politiker-Studie – die übrigens von den belgischen Regisseur-Brüdern Dardenne produziert wurde – ist nicht nur der verbale Schlagabtausch, mit dem sich alle gegenseitig in Schach halten. Es ist auch ein sehr körperlich erzählter Thriller, den Schoeller mit großer Beschleunigung vorantreibt. Ein knalliger, unglaublich effektvoll erzählter Autounfall gibt Saint-Jeans Karriereplan einen neuen Dreh – und macht zuletzt aus einem zumindest halbwegs engagierten Gesinnungsstreber einen machtbewussten Zyniker.

Jedermann

Der Belgier Olivier Gourmet spielt seinen Aufsteiger als einen talentierten Jedermann mit Anfangsschwierigkeiten. Zuerst muss er sich übergeben, verschlucken, husten und würgen. Immer mehr jedoch schmiegt er sich in die barocken Büroräume seiner politischen Klasse hinein.

Schoeller betrachtet dabei den zeitgenössische Politikbetrieb als Maschine mit ihren eigenen Regelwerken. Trotzdem bleibt bei ihm die Macht nicht abstrakt: Vielmehr sitzen im Zentrum immer noch Subjekte, die andauernd ihre Entscheidungen treffen. Und bezeichnenderweise hockt Saint-Jean auch gerade auf dem Klo, als er von seinem neuen Karriereschub erfährt – mit heruntergelassener Hose.

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