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© Warner Bros.

Filmkritik

"Der Goldene Handschuh" auf Netflix: Ein armes Monster tötet zu Schlagermusik

Fatih Akin verfilmt einen Bestseller von Heinz Strunk und erzählt den wahren Kriminalfall des Serienkillers Fritz Honka.

von

Franco Schedl
Franco Schedl

02/23/2021, 06:46 AM

Eine Frau liegt auf dem zerwühlten Bett und als dann ein Mann hinzukommt, wissen wir sofort, dass es sich um eine Leiche handelt. Unter Aufbietung aller Kräfte versucht er, sie aus der Wohnung zu schaffen, doch das ist nicht so leicht. Die Panik des Mörders wächst und schließlich muss er zur Säge greifen. Diese Anfangsszene macht uns sofort unerbittlich klar, was wir im Folgenden zu erwarte haben.

Regisseur Fatih Akin ist ein echter Hamburger Junge: er weiß genau, wie’s dort in der Szene so zugeht und führt uns mitten hinein ins Kiez-Milieu der frühen 70er Jahre. „Der Goldene Handschuh“ ist der Name einer Szenekneipe, wo allerlei verkrachte Existenzen gestrandet sind, die Spitznamen tragen wie Doornkaat-Max, Tampon-Günther, Nasen-Ernie oder Soldaten-Norbert. Das hört sich vielleicht nach einer harmlosen Komödie über ein paar norddeutsche Originale an, doch richtig gemütlich wird es hier nie. Die meisten Kneipenbesucher machen uns eher Angst - und das zu Recht, denn auch Fritz Honka ist hier Stammgast.

 

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Fritz Honka

Dieser Kerl wirkt wie der Glöckner von Notre-Dame oder wie einer dieser Assistenten von wahnsinnigen Wissenschaftlern in alten Horrorfilm: er ist ein kleinwüchsiger buckliger, hinkender Mann mit deformiertem Gesicht, schielendem Auge, höckeriger Nase, schlechtem Gebiss und Sprachfehler. Bei Frauen hat er keinen Erfolg („Den würd‘ ich nicht mal anpissen, wenn er brennt“, meint eine Kneipenbesucherin, als Honka ihr einen ausgeben will), aber da gibt es die obdachlosen Alkoholikerinnen und Gelegenheitsprostituierten, die nur allzu gerne bereit sind, Honka in dessen verlotterte Dachgeschoßwohnung zu begleiten, wo die Wände mit Fotos nackter Frauen austapeziert sind, auf dem Sofa Kinderpuppen sitzen und vom Plafond Duftbäumchen hängen, um den fürchterlichen Gestank von verrottendem Fleisch zu überdecken. (Schuld am Geruch sind laut Honka natürlich „diese griechischen Gastarbeiter“ aus der Wohnung unterhalb.)

Der Mann ist nicht fähig, seine Gefühle normal zu zeigen - wenn er dann obendrein zu viel Alkohol intus hat und impotent bleibt, wird er aggressiv, fällt wie ein Raubtier über die Frauen her, beginnt zu prügeln und zu morden. Als unerreichbares Wunschbild hat er ein halbwüchsiges Mädchen vor Augen, das mit einem Schulfreund durch die Gegend zieht, schließlich auch im „Goldenen Handschuh“ landet und dadurch unwissentlich in große Gefahr gerät. Es gibt allerdings auch Frauen, die Honkas Mordwut entgehen und in einer Szene wird deutlich, dass die Heilsarmee tatsächlich Gutes leisten kann.

 

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Margarethe Tiesel

Ohne zu werten zeigt Akin diese quälenden Abläufe und man wird nicht nur für die Frauen, sondern auch mit Honka Mitleid empfinden – sie alle sind Opfer ihrer Verhältnisse und in einem Teufelskreis gefangen. Schon Hitchcock hat uns immer wieder vorgeführt, wie schwierig es eigentlich ist, einen Mord zu begehen und dass die Beseitigung einer Leiche große Probleme bereiten kann. Akin, der als Vorbilder Ulrich Seidel und Michael Haneke nennt, legt hier einen Naturalismus an den Tag, der oft bis an die Schmerzgrenze geht.

Zu den potentiellen Opfern zählt Margarethe Tiesel (die Sextouristin aus „Paradies: Liebe“): wie ein kleines Häuflein Elend sitzt sie da an Honkas Tisch und lässt eine Misshandlung nach der anderen über sich ergehen, nur um wieder Alkohol zu bekommen und ein Dach über dem Kopf zu haben. Der durch Gesichtsprothesen unkenntlich gemachte Jonas Dassler (zuletzt in „Werk ohne Autor“ und „Das schweigende Klassenzimmer“) spielt das arme Monster so intensiv, dass die Gänsehaut von unseren Armen nicht weichen will und man fragt sich zudem, wie jemand eine derartige Rolle seelisch unbeschadet übersteht.  Wohlweislich war bei den Dreharbeiten immer eine Psychologin anwesend, um im Bedarfsfall mit den Darstellern sprechen zu können.

 

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Eine wahre Geschichte

Akin erspart sich den heutzutage fast unvermeidliche Vor-Satz „Nach einer wahren Geschichte“, lässt Honkas Herkunft im Dunklen (bloß einmal wird nebenbei erwähnt, dass sein Vater Kommunist und KZ-Insasse gewesen ist), bleibt uns auch Informationen über sein weiteres Schicksal schuldig und zeigt nur im Abspann die Bilder der realen Personen und des echten Tatortes. Wer wirklich wissen will, dass Honka erst 1998 gestorben ist und seine letzten Lebensjahre, von sehr speziellen Wahnvorstellungen heimgesucht, in einem Altersheim verbrachte, kann sich ja bei Google informieren.

Die Filmmusik besteht ausschließlich aus deutschen Schlagerschnulzen, was zum allgemeinen Unbehagen beiträgt und den Horror dieser bundesdeutschen Misere steigert.  Mit Schlagern geht eben alles besser – auch das Zerstückeln von Leichen.

4 von 5 singenden Sägen

Fatih Akins Horrorfilm basiert auf dem wahren Fall des Frauenmörders Fritz Honka und seiner Stammkneipe, „Zum Goldenen Handschuh“.

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