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Filmkritik

"Kajillionaire": Von der skurrilen Alltagsgeschichte zur queeren Love-Story

Das emotionale Gefüge einer schrulligen Kleinganoven-Familie gerät in der "Slice-of-Life"-Dramedy von Writer/Directorin Miranda July völlig durcheinander.

von

Erwin Schotzger
Erwin Schotzger

10/23/2020, 02:20 PM

Die Dynes sind eine seltsame Familie. Der kauzige Vater Robert (Richard Jenkins) protzt bei jeder Gelegenheit mit seinem breiten Allgemeinwissen, glaubt aber daran, dass er bei einem Erdbeben nichts berühren darf, weil er sonst einen tödlichen Stromschlag bekommt. In Los Angeles, wo die Dynes in einem leer stehenden Büroraum hausen, bebt die Erde öfter. Die gefühlskalte Mutter Theresa (Debra Winger) kann ihrer Tochter Old Dolio (Evan Rachel Wood) keine liebevollen Kosenamen geben, weil sie Emotionen für Heuchelei hält. Das ist wohl auch der Grund für die emotionale Verwahrlosung von Old Dolio, die zwar schon 26 Jahre alt ist, aber wirkt wie ein 17-jähriger Teenager. In der Familie Dyne haben Emotionen nichts verloren, sondern lediglich Professionalität. Denn Vater und Mutter Dyne halten sich selbst für raffinierte Kleinganoven. 

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Kleinganoven-Familie am Limit

Tatsächlich geht es bei ihren großartigen Coups aber immer nur um lächerliche Kleinstbeträge. Wo immer sie die Chance wittern, ohne Anstrengung zu Bargeld zu kommen, schlagen sie zu. Sie sind sich für nichts zu schade. So haben sie etwa ihre eigene Tochter nach einem krebskranken Obdachlosen benannt, der in der Lotterie gewonnen hatte – in der Hoffnung durch diese rührende Geste sein Geld zu erben. Robert und Theresa haben jede Scham, jedes Mitgefühl für ihre Opfer und jede Emotion in der eigenen Familie vor langer Zeit zurückgelassen. Überleben ist alles – aber ohne sich der verhassten Konsumgesellschaft geschlagen zu geben. 

Als wegen Mietrückstand der Rauswurf aus ihrer billigen Absteige droht, müssen sie innerhalb von zwei Wochen 1500 Dollar auftreiben. Old Dolio hat die Idee für einen großen Coup, der ganze 1575 Dollar bringt: Versicherungsbetrug. Dafür ist aber ein Flug nach New York und wieder zurück erforderlich, um das versicherte Gepäck zu verlieren. Auf der Reise lernen sie Melanie (Gina Rodriguez) kennen. Die gelangweilte junge Frau wittert ein Abenteuer und schließt sich den schrulligen Dynes an. Das bringt das Familiengefüge und vor allem die Gefühle von Old Dolio gehörig durcheinander. 

 

Kein Heist Movie, sondern eine queere Love-Story

"Meine Lieblingsfilme sind die Oceans-Elven-Streifen. Das ist genau das, was ich schon immer mal durchziehen wollte", sagt Melanie voller Begeisterung als sie die Dynes kennenlernt. Doch mit den glamourösen Trickbetrügern aus den genannten Heist Movies haben die Dynes so rein gar nichts gemeinsam. Mit dem Auftauchen der normalen Melanie verändert sich langsam der Blick auf die Dyne-Familie. 

Regisseurin und Drehbuchautorin Miranda July hat schon mit ihren Filmen "Ich und du und alle die wir kennen" (2005) und "The Future" (2011) ein Talent für einfühlsame Alltagsgeschichten bewiesen. In "Kajillionaire" versteht sie es erneut, die Beziehungen der Charaktere eindrucksvoll in den Mittelpunkt zu stellen. Dafür hat sie diesmal auch großartige Schauspieler zur Verfügung, allen voran Evan Rachel Wood. Sie zeigt in der Rolle der Old Dolio eine unglaubliche Wandlungsfähigkeit: ihre Stimme ist monoton, sie wirkt gedämpft und emotionslos, Schultern und Arme hängen nach vorne. Aber auch Gina Rodriguez, Richard Jenkins und Debra Winger liefern ein sehenswertes Kammerspiel ab.

"Kajillionaire" beginnt als "Slice-of-Life"-Film über eine schrullige Familie am Rande der Gesellschaft und endet als queere Liebesgeschichte und wunderbares Kinoerlebnis. 

 

Schon vor dem Start in den heimischen Kinos ist "Kajillionaire" im Rahmen der Viennale zu sehen.

 

Die vielseitige Performance-Künstlerin, Schauspielerin, Schriftstellerin und Regisseurin Miranda July erntwirft eine kunstvolle, in sich geschlossene Welt.

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