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© Lukas Beck

interview

„Ich wollte ja nicht die Krimi-Historie nacherzählen“: Susanne Freund im Gespräch zu "I'm a Bad Guy"

Die Regisseurin spricht über ihren Film und somit über Adolf Schandl, der eine bewegte kriminelle Vergangenheit hinter sich hat.

von

Franco Schedl
Franco Schedl

05/11/2018, 08:36 AM

film.at: Sie haben Drehbücher zu etlichen Krimis – auch „Kommissar Rex“ oder die Land-Krimis für Oberösterreich und Steiermark – geschrieben und im Skript zu „Die Gottesanbeterin“ den Fall der Giftmörderin Elfriede Blauensteiner aufgegriffen. Haben Sie eine Vorliebe für’s Kriminelle und vor allem für wahre Verbrechen?

Susanne Freund: Das Interessante ist, dass ich bis vor wenigen Jahren fast gar keine Krimis gelesen habe. So eine Lektüre dient mir auch heute höchstens zur Entspannung, aber Krimis und Verbrechen sind nicht meine große Leidenschaft.

Konnten Sie mit dem Namen Adolf Schandl vorher schon etwas anfangen?

Eher noch mit dem Satz: „Ich bin‘s, Euer Präsident!“, obwohl der mit ihm persönlich ja gar nichts zu tun hatte, sondern bei der Geiselnahme im November 1971 bloß Schandls damaligen Komplizen galt.

Wie sind Sie dann überhaupt auf Schandl gekommen?

Über meinen Buchhändler. Es gibt zum Glück noch diese kleinen, feinen Buchläden – zum Beispiel bei mir gleich ums Eck jenen von Herrn Lhotzky. Der kennt meine Arbeit und schätz das Dokumentarische. Er hatte Schandls Buch [„Jailbreak: Nur nicht im Gefängnis sterben“, PROverbis, 2014] aufliegen, wollte mich auf diesen Menschen aufmerksam machen und hat völlig kryptisch angemerkt: „Ich glaub, der ist was für Sie“. Daraufhin bin ich zu einer Lesung gegangen.

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Geweckte Neugierde

Wie ist das erste Treffen mit Herrn Schandl verlaufen? Waren Sie von ihm überrascht?

Als ich ihn gesehen habe, konnte ich zuerst nicht glauben, dass dieser Mann 40 Jahre im Gefängnis verbracht haben soll. Ich habe mit ihm geredet und hatte eine ganz andere Person vor mir, als gerade eben während der Lesung; und bei einem nächsten Treffen ist er mir wieder völlig anders erschienen. Das hat meine Neugierde geweckt.

War große Überredungsarbeit nötig, ihn zu motivieren, dieses Projekt auf die Beine zu stellen?

Oh ja, das war sehr hart und hat lange gedauert, weil er – aus verständlichen Gründen – ein sehr misstrauischer Mensch ist.

In Ihrem Film bekommen wir ihn pausenlos in Alltagssituationen zu sehen: angefangen vom Erwachen und Frühsport, bis zum Schwimmbadbesuch oder Zugreisen. Hat er sich selber ausgesucht, bei welchen Aktivitäten er gefilmt werden wollte?

Nein, das wurde immer vorher alles genauestens mit ihm besprochen. Das ist doch eine sehr heikle und auch intime Sache und ich bin jeden Drehtag mit ihm exakt durchgegangen. Man muss sich vorstellen, was das bedeutet: in dieser kleinen Wohnung ständig ein so großes Team um sich zu haben. Aber wir hatten es tatsächlich sehr lustig und er war sozusagen wie ein professioneller Schauspieler präsent.

Gab es Momente, in denen er verlangte, dass die Kamera ausgeschaltet wird?

Es gab Momente – wenn er ins Schwimmbecken steigt, sich unter die Dusche stellt oder durchs Gras geht – in denen er dann gesagt hat: „Muss ich das jetzt wirklich noch einmal machen?“. Aber rein inhaltlich betrachtet hatte er nichts auszusetzen, sondern war unglaublich tapfer und engagiert.

Ist Ihnen Herr Schandl während der Dreharbeiten einmal wirklich unheimlich geworden und hatten Sie fast Angst vor ihm?

Ich habe noch nie in meinem Leben vor ihm Angst gehabt, aber unheimlich ist er immer. (lacht)

Vieles über Schandls Vorgeschichte bleibt im Film ungesagt und man muss sich die Bruchstücke erst selber zusammensetzen. So erfährt man gegen Ende fast nebenbei, dass er bei einem Überfall auch einmal auf jemanden geschossen hat. Was für ein Konzept steckt hinter diesem Fragmentarischen?

Wir haben uns die Frage gestellt: wie bastelt sich jemand seine bzw. wie basteln wir uns alle unsere Welt zusammen? Aber seine egozentrierte Sicht ist schon etwas sehr, sehr Spezielles und unglaublich aktuell. Ich persönlich wollte ja nicht die Krimi-Historie nacherzählen, sondern es ging darum, wohin die Reise meines Helden führt. Und sein Wunschziel war Australien, so bizarr das auch klingen mag. Das ist der Bogen, in den ich dann einfach seine verschiedenen Pirouetten hineingebaut habe. ‚Einfach‘ unter Anführungszeichen, denn es war nicht leicht, hier eine dramaturgische Lösung zu finden.

Es bleiben auch sonst viele Fragen offen: Wenn alle gegen seine vorzeitige Entlassung waren, wie ist sie dann dennoch zustande gekommen?

Ich denke, das war ein Zusammenspiel von seinen Fähigkeiten und Glück. Zunächst war klar, dass er aus der Karlau nie rauskommt, was gar nicht so sehr an der Grazer Justizanstalt selbst liegt, sondern am angeschlossenen Bezirks- oder Stadtgericht. Das heißt, er musste es irgendwie schaffen, nach Garsten zu kommen, weil dort das zuständige Gericht bekanntlich großzügiger mit vorzeitlicher Entlassung umgeht. Schandl hat eine Eingabe nach der andern eingebracht, seine Tochter war bereit, wieder mit ihm in Kontakt zu treten, das soziale Umfeld hat gepasst, eine Wohnung war gesichert und sein hohes Alter spielte ebenfalls eine Rolle. Es wäre in letzter Minute aber fast doch noch gescheitert, denn irgendjemand hatte das böswillige Gerücht verbreitet, er wolle den Gefängnisdirektor als Geisel nehmen.

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Falsche Berufswahl

Mich würde ebenfalls interessieren, wie er mit der langen Einzelhaft umgegangen ist. Wie verkraftet man so etwas?

Vier Jahre Einzelhaft. Letztendlich – und das spürt man in dem Film – ist es etwas, das ihm lieber ist. Nach zwei oder drei Jahren hat er dann schon mal einen Koller gekriegt, aber das hat er bewältigt. Er wollte auch später in den Jahren in Garsten allein sein. Er hat damit also kein Problem, denn er ist ja seiner eigenen Einschätzung nach ‚etwas Besseres‘.

Und wie hat er sich die umfassende Bildung angeeignet, über die er zweifellos verfügt? Immerhin scheint er belesen zu sein und bezeichnet sich einmal als Philosoph.

In der Einzelhaft durfte er viel Radio hören und da er nicht im Gefängnis sterben wollte, hat er angefangen, sich zu bilden. Er kann übrigens besser Englisch als so mancher österreichische Politiker und verfügt sicher über ein phänomenales Gedächtnis, denn seine Australienaufenthalte liegen ja viele Jahrzehnte zurück. Er hat einfach eine gute Veranlagung und es ist tragisch, dass er daraus nicht wirklich etwas machen konnte – falsche Berufswahl.

Man erhält den Eindruck, dass Schandl oft Theater spielt. Wenn er zum Beispiel am symbolischen Grab seines Bruders eine Rede hält und offenbar gegen Tränen ankämpft, aber im nächsten Satz gleich ein lateinisches Zitat einflicht, als wäre er ein kirchlicher Trauerredner. Glauben Sie, er hätte sich auch ohne Kamera so verhalten oder hat ihn die Situation des Filmdrehs zu solchen Monologen veranlasst?

Wenn er mit mir alleine ist, bekommt er auch Tränen in die Augen, sobald es um die Familie geht. Da ist also durchaus etwas. Es ist aber zugleich sehr zweischneidig: einerseits klagt er oft darüber, was er seiner Familie angetan hat; am Grab ist er aber nicht auf die Idee gekommen, das zu sagen. Manchmal legt er sich schon selber rein.  

Ein anderer Punkt ist seine Frömmigkeit. Halten Sie ihn für gläubig oder war das nicht auch nur ein Beten für die Kamera?

Ich habe sein Beten im Film massiv reduziert. Das ist auch ein Thema, über das wir viel gestritten haben. Ich habe ihm meine Meinung gesagt und ich glaube, das schätzt er auch. Aber das kennt man ja von vielen, die so lange sitzen, dass sie irgendwann einmal Gott finden, weil der verzeiht. In der Karlau gab es einen evangelischen Seelsorger, mit dem er sich angefreundet und über Literatur geredet hat. Zurzeit redet er nur noch über Gott. (lacht) Zugleich verbirgt er diese gläubige Seite aber auch. Seine guten Freunde, die Burgenländer, waren, abgesehen von Adolf, die einzigen Personen, denen ich den Film im Rohschnitt gezeigt habe, und die Frau hat ganz verblüfft reagiert: „Jo spinnt denn der, sowas hob I noch nie gsehn – des is jo wie am Land.“

So wie es Jägerlatein gibt, gibt es vermutlich auch ein Häftlingslatein. Wenn er sich ausmalt, was er mit einer Kalaschnikow in Händen alles getan hätte, hat er sich dann als besonders harter Bursche dargestellt, um Sie in dieser Situation zu beeindrucken? 

Nein, ich habe ihn provoziert. Das ist mein Job. Es ging einfach darum, dass er einmal mit dem Brustton der Überzeugung gesagt hat, er würde einer Frau niemals etwas antun.  Was ich ihm übrigens auch abnehme: Er war nie ein Raufer und kommt aus keinem kriminellen Milieu. Aber dass er eine Frau nie demütigen würde, ist eine zynische Behauptung und das habe ich ihm um die Ohren gehaut: „Das erklärst Du mir jetzt einmal.“ – und da schaukelt er sich dann natürlich auf.

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Fast keine Gegenstimmen

In Gestalt eines Kaffeehausbesitzers gibt es im Film einen einzigen Menschen, der ihm Paroli bietet und ihn damit konfrontiert, wie sehr er die Vergangenheit schönt und alles zurechtbiegt. Waren Sie nicht bemüht, noch mehrere derartige Gegenstimmen zu finden?

Die gibt es nicht. Natürlich, der Psychologe, der im Film zu Wort kommt, weiß schon, was mit ihm los ist, relativiert das aber und da hat er ja auch recht.  Was heißt ‚manipulativ‘? Als Vertreter wäre Adolf Schandl ein guter Verkäufer.

Und haben Sie versucht, seine Tochter, die vom Vater nichts mehr wissen will, vor die Kamera zu holen?

Ja, aber das hat nicht funktioniert, da ist kein Durchdringen möglich. Sie spricht nicht mehr mit ihm, und meine Theorie lautet:  seitdem das Buch erschienen ist. Ich kann aber nicht beurteilen, was da eigentlich drinnen steht, wodurch sie so verletzt wurde.

Oder ehemalige Haftgenossen?

Das geht sowieso nicht, weil ich die nicht zeigen darf. Und auch Justizbeamte wollen nicht über ihn reden. Wobei in Garsten alle äußerst entgegenkommend und hilfsbereit waren, während sie in Stein so allergisch auf den Namen Schandl reagieren, dass sie mir sogar die Außenaufnahmen verbieten wollten. (lacht)

Sein Buch wurde ja in erster Linie geschrieben, um Geld für die ersehnte Australienreise zu verdienen. Glauben Sie, dass er auch dem Filmprojekt nur zugestimmt hat, weil er hofft, das könnte ihm den Weg nach Australien ebnen?

Das wird sicher eine Überlegung gewesen sein. Ich muss dazu sagen, dass sich bei dokumentarischer Arbeit auch die Zielsetzung verschiebt. Letztendlich habe ich mich gefragt: was soll ich mit ihm in Australien? Das ist ja keine Geschichte. Es ist viel besser, er kommt nicht dorthin und alles bleibt offen. Inzwischen hat er sich übrigens auch wohnlich verändert, lebt im Grünen, verbringt viel Zeit in der Natur und erweckt einen sehr zufriedenen Eindruck.

Hat Herr Schandl den fertigen Film schon gesehen und wie waren seine Reaktionen darauf?

Er war zufrieden damit und hat sich gefallen. Er weiß, was ich gemacht habe und dass er es gestattet hat. Selbstverständlich habe ich etwas Federn gehabt, aber das ist meine Arbeit und es ist klar, dass er sie als Erster zu sehen bekommen hat.

Sie werden weiterhin mit ihm in Kontakt bleiben?

Es ist schon ein Vertrauensverhältnis entstanden. Wir telefonieren natürlich nicht jeden Tag, sondern nur sporadisch.

Würden Sie ihn als netten Opa sehen und an Bekannte als Babysitter weiterempfehlen?

Nein, nach dem, was er über Kinder sagt, würde ich ihn nicht empfehlen. Obwohl es ein entzückendes Foto von ihm gibt, auf dem er als junger Vater sein Baby hält.


Das Interview führte Franco Schedl

Adolf Schandl ist Pensionist, Stein-Ausbrecher, Karlau-Geiselnehmer. Ein Stück österreichischer Kriminalgeschichte.

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