© Özgür Anil

Interview

Interview mit Michael Kreihsl zu "Liebe möglicherweise"

Der neue Film von Michael Kreihsl „Liebe möglicherweise...“ läuft zurzeit in den österreichischen Kinos und erzählt vom unaussprechlichen Kleinkrieg zwischen Liebenden in der Großstadt. Im Interview verrät er uns seinen Zugang zu den Figuren und warum Liebe und Angst sehr nahe beieinander liegen.

12/19/2016, 07:03 AM

Was war die Ursprungsidee für den Film?

Michael Kreihsl: Ich habe über mehrere Jahre hinweg in öffentlichen Verkehrsmitteln Fotos von Menschen gemacht, die bei sich waren; also von Leuten, die nicht in ihre Handys geschaut oder ein Buch gelesen haben. Dabei habe ich viele authentische Momente festhalten können, an denen man die Stimmungslage der Personen sehr genau abschätzen konnte. Mich hat interessiert, was passieren würde, wenn man diese Menschen nachhause begleitet, wie sieht ihr Alltag aus, wo fahren sie hin. Die Idee, dass Bilder für sich etwas auslösen können, hat mich immer schon sehr fasziniert und ich habe begonnen, mir Situationen und Geschichten zu den Personen einfallen zu lassen. Mir ging es auch sehr um den Alltag, den man erlebt und so sind die Geschichten dann von Pärchen, Kindern und Vätern entstanden, weil wir alle in diesen Beziehungen stecken.

Wie sind Sie zu den einzelnen Konflikten im Kontext einer Großstadt gekommen?

Mich hat die Unruhe der Menschen interessiert und die ist natürlich in einer Großstadt ausgeprägter als am Land. Wenn man in Wien mit der U-Bahn fährt, schaut nahezu jeder in sein Handy und blendet seine Umgebung fast völlig aus. Die Menschen sind einerseits im öffentlichen Raum aber andererseits in ihrem eigenen Universum, in dem sie glauben, etwas Besseres oder Interessanteres zu finden. So verhält es sich auch oft in der Liebe: wer glaubt, eine bessere Liebe zu finden, der hat nie geliebt. Wir sind permanent verschiedensten Reizen ausgesetzt, eine Krise ist nach wenigen Minuten oft wieder vergessen, weil man etwas anderes gefunden hat, mit dem man sich ablenken kann. Das Internet verstärkt dieses Verhalten natürlich immer mehr und führt schon fast zu einer Isolation.

Haben Sie persönliche Erfahrungen mit in den Film eingebracht?

Es ist natürlich immer eine Mischung zwischen real Erlebtem und Fiktion. Man sammelt über viele Jahre Eindrücke und schreibt sie dann in einigen Monaten in Form eines Drehbuchs nieder. Lebenserfahrung ist bei solchen Geschichten natürlich essenziell, um die Figuren so authentisch wie möglich zu gestalten. Man schöpft aus dem Erfahrungsschatz den man hat und wie man selber die Welt und zwischenmenschliche Beziehungen wahrnimmt.

Ihr Film handelt von den verschiedensten Formen von Liebe, aber die Figuren lügen und verheimlichen einander ständige etwas. Kann man nur lieben, wenn man sich anlügt?

Warum passiert Lüge? Aus Angst. Man hat Angst vor Nähe, Angst etwas zu verpassen, aber man belügt ja nicht nur andere, sondern vor allem sich selbst. Die Lüge ist ja etwas, das dem Menschen von Natur aus inne wohnt; auch in Religionen wird die Notlüge als legitimes Mittel angesehen, um seine Situation zu verbessern, weil man den Menschen ja auch oft die Wahrheit nicht zumuten kann. Ich wollte von Menschen erzählen, die eine große Sehnsucht haben, aber dann diese Sehnsucht nicht weiter verfolgen, weil sie glauben, an der nächsten Ecke könnte es etwas besseres geben. Filme, Literatur und Kunst im Allgemeinen kann Sachverhalte aufzeigen und im besten Fall den Zuseher aufmerksamer auf seine eigene Situation machen, ob das was bringt, muss jeder für sich selber entscheiden.

Ihre Figuren haben einen großen Stolz und schlüpfen nie in Opferrollen, jeder/jede im Film versucht seine/ihre Probleme selber zu lösen ohne sein/ ihr Leid nach außen zu tragen. Wie sind Sie an die Figuren herangegangen?

Es fällt uns im Alltag sehr schwer, unser wahres Gesicht zu zeigen. Wir wollen immer die beste Version von uns präsentieren, weil man Angst hat, bedürftig oder unattraktiv zu erscheinen. Wir können uns nicht mehr leisten, eine Not auszusprechen, weil wir uns dadurch verletzbar machen. Die ganze Werbe- und Kosmetikindustrie baut erfolgreich auf diesen Ängsten auf. Wir sind als Menschen meiner Meinung nach nicht zu großen Gefühlen geeignet - die gibt es meistens nur auf der Bühne und auch Hamlet und Homburg ringen mit sich selbst. Man muss die Figuren ernst nehmen und ihnen auf Augenhöhe begegnen, nur so kann man glaubwürdige Geschichten erzählen.

Ich finde die einzelnen Geschichten sehr spannend, weil alle Konflikte sehr nah am echten Leben sind. Sie erzählen nicht von Mord und Totschlag, sondern von Trennungen, Generationskonflikten und Schuldgefühlen, die uns allen auf die eine oder andere Art bekannt sind. Wieso haben Sie sich für so einen Erzählstil entschieden?

Die großen Dramen passieren uns im Alltag fast nie. Wir gehen in die Arbeit, kommen nach Hause, essen etwas und gehen schlafen. Ich interessiere mich auch nicht für einen gewissen Stil, ich will von zwischenmenschlichen Beziehungen erzählen und versuchen, sie so ernst wie möglich zu nehmen. Wie im echten Leben bekommen meine Figuren das Drama nicht direkt, sondern immer nur über Umwege mit. Man bekommt eine SMS oder hört von seiner Tochter etwas über die Mutter, so spielt es sich in der Realität ab. Das Drama bleibt unausgesprochen, aber das Kino bietet uns die Möglichkeit, Unausgesprochenes in Bilder zu fassen.

Das Interview führte Özgür Anil

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Mit einem deutschsprachigen All-Star-Ensemble (u.a. Otto Schenk und Gerti Drassl) macht sich Regisseur Michael Kreihsl in seinem Episodenfilm auf die Suche nach Sinn und Unsinn des Lebens.

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