Filmkritiken

KRISE DES ERWACHSENWERDENS IM FLÜCHTLINGSDORF

von

Alexandra Seibel
Alexandra Seibel

11/11/2014, 11:00 PM

Macondo ist nicht nur ein fiktiver Ort in Gabriel García Márquez’ Roman "Hundert Jahre Einsamkeit". Macondo ist auch ein Flüchtlingsdorf in Wien-Simmering. Angesiedelt zwischen Industriezentren, Autobahnbrücken und Simmeringer Heide findet sich jener ganz spezielle Ort, der seit den 1950er-Jahren Flüchtlinge beherbergt.

Dort wächst ein elfjähriger, tschetschenischer Bub namens Ramasan auf. Er hat seinen Vater im Krieg verloren und lebt nun mit seiner Mutter und seinen zwei kleinen Schwestern in Macondo. Ein kleiner Macho, der seine Männlichkeit austestet, die Mädchen gern herumkommandiert, aber gerade auch seiner traumatisierten Mutter gegenüber ganz zarte Töne anschlagen kann.

Man spürt, dass Regisseurin Sudabeh Mortezai, die in Teheran geboren wurde und in Wien lebt, vom Dokumentarfilm ("Im Bazar der Geschlechter") kommt. In ihrem mehrfach ausgezeichneten Spielfilmdebüt – zuletzt mit dem Wiener Filmpreis – findet sie mit ihrer hochmobilen Kamera leichthändig Nähe zu ihren jungen Protagonisten. Sie sieht Kindern auf dem Spielplatz und beim Fußballspielen zu und entfaltet unaufgeregt, aber dringlich ihre Geschichte.

"Macondo" ist insofern erstaunlich, als es am Rande von Wien eine weitgehend unbekannte Welt auftut. Da, wo die Stadt in die Gstätten übergeht, wo Beton plötzlich in Wiese und Flussufer mündet, verortet Mortezai das Leben ihres Protagonisten.

Eifersucht

So gerät Ramasans Welt in Unruhe, als Isa, ein angeblicher Freund seines toten Vaters, im Dorf auftaucht. Zuerst fühlt sich der Bub zur neuen Vaterfigur hingezogen. Der Mann schenkt ihm ein Taschenmesser und spitzt mit ihm Pfeil und Bogen. Bald jedoch keimt Eifersucht auf, als Ramasan klar wird, dass Isa einen Platz in der Familie einnehmen könnte. Die Freundschaft verkehrt sich in Ablehnung.

Mortezai verzichtet in ihrer Coming-of-Age-Geschichte weitgehend auf Milieu-Tristesse: Zwar schwebt ein Asylverfahren über der Familie, doch lebt Ramasan weder in sozial verwahrlosten Verhältnissen, noch treten die österreichischen Behörden als drangsalierende Instanzen auf. Auch die Siedlung selbst ist kein Ort der üblichen Flüchtling-Misere, sondern bunt bewohnter, integrativer Lebensraum.

Stattdessen steht Ramasans Erziehung des Herzens auf dem Spiel. Denn Einbrüche im Baggerpark und versuchter Diebstahl im Baumarkt gefährden den Aufenthalt der Familie in Österreich.

Die noch grundsätzlichere Frage für den Buben lautet aber: Wann ist ein Mann ein Mann? Wenn er heroisch im Krieg stirbt, wie der Vater? Wenn er als guter Sohn auf Rache sinnt? Wenn er in der Moschee betet?

An Macondo grenzt ein struppiges Waldstück, in dem sich regellose Freiheiten eröffnen. Dort tobt Ramasan seine Frustrationen aus. Dort ersticht er ein altes Sofa anstelle des verhassten Isa. Denn Isa fordert ihn heraus, indem er einen anderen, softeren Typus Mann verkörpert als Ramasans toten Vater, der als Kriegsheld verehrt wird und dessen Säbel zu Hause an der Wand hängt.

Die notwendig kritische Befragung traditioneller Vorstellungen von Männlichkeit macht die Krise des Erwachsenwerdens aus, suggeriert Mortezai. Und genau von dieser Krise erzählt "Macondo".

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Das berührende Spielfilmdebüt der Regisseurin der Dokumentarfilme "Im Bazar der Geschlechter" und "Children of the Prophet", Sudabeh Mortezai.

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