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Filmreview

"Love": Herausragende Liebe in 3D

Der Starttermin von Gaspar Noés neuestem Film bietet eine gute Gelegenheit, das Jahr mit Sex zu beginnen.

von

Franco Schedl
Franco Schedl

12/30/2015, 01:44 PM

Der Regisseur hätte immerhin einen Ruf zu verlieren, wenn er ausgerechnet bei einem Film, der uns Liebe in der dritten Dimension ankündigt, in Sachen Freizügigkeit einen Rückzieher machen würde. Zwar streckt sich mehrfach ein erigiertes Glied von der Leinwand und spritzt uns auch mal eine Spermaladung entgegen (was angesichts der 3D-Technik ja auch zu erwarten war) - trotzdem ist das Werk weitaus mehr als ein Kunstporno und hat nichts mit bloßer Effekthascherei zu tun. Liebe umfasst natürlich nicht nur das rein Körperliche und so zählen hier gerade die Szenen zwischen einem Vater und seinem kleinen Sohn ohne Übertreibung zu den berührendsten Momenten, die jemals in einem Film zu sehen waren. Noé ist ein starker Publikumsverführer: er verlockt uns immer wieder durch seine Bilder – egal, ob es sich dabei um zwischenmenschliche Zärtlichkeiten oder einen ganz alltäglichen Gang durch die Stadt handelt.

Die Geschichte ist von nahezu banaler Einfachheit und erscheint gerade deshalb umso glaubwürdiger. Als „Love“ einsetzt, ist die rauschhafte Affäre zwischen dem Amerikaner Murphy und seiner Pariser Freundin Electra bereits seit zwei Jahren vorüber. Der Mann versucht nach dem Empfang einer beunruhigenden Nachricht seine ehemalige Geliebte wiederzufinden und ruft sich die Zeit mit ihr ins Gedächtnis zurück. Noé bleibt dabei einem bewährten Kunstgriff treu und erzählt die Handlung verkehrt herum: daher kommt es gleich anfangs zum Bruch des Paares, während am Ende die erste gemeinsam verbrachte Liebesnacht stattfindet. „Love“ ist zugleich Noés bisher friedfertigster Film: abgesehen von einem kurzen Gewaltausbruch während einer Partyszene, werden alle auftretenden Differenzen nur verbal ausgetragen; wobei der Amerikaner manchmal etwas fucking nerving – äh: nervig – vor sich hin schimpft. Beinahe witzig wird es, wenn ein französischer Polizist dem Landesfremden aus Übersee privat ins Gewissen redet und ihm in Begleitung der Freundin einen Besuch im Swinger Club anrät, um sich so von Eifersuchtsanwandlungen zu befreien.

Der Regisseur bringt sich auf spielerische Weise selber sehr stark in sein Werk ein: so soll das mit der jungen Nachbarin gezeugte Kind Gaspar genannt werden und Electras früherer Liebhaber hat Noe geheißen. Außerdem studiert der Amerikaner an der Pariser Filmakademie und schwärmt einmal einer Zufallsbekanntschaft von seinem Lieblingsprojekt vor: er erträumt sich einen Film, der „sentimental love“ so authentisch wie möglich im Kino zeigt. Hier hat uns Noé seine Pläne verraten, aber die haben wir auch selber längst erkannt, da sein Film dieser Absicht tatsächlich sehr nahe kommt: selten zuvor wurde Liebe in all ihren Spielarten und Stadien so hingebungsvoll auf Film gebannt. Die Darsteller scheinen die Kamera völlig vergessen zu haben und erzeugen für uns ein Gefühl der Intimität, wodurch sich mancher Zuschauer vielleicht zu sehr in die Position eines Voyeurs gedrängt fühlt. Im Gegensatz zu einem Porno zeigt Noé keinen Liebesakt von Anfang bis Ende und arbeitet außerdem mit extrem vielen Schnitten. Während er in seinem vorherigen Werk „Enter the Void“ den Eindruck erwecken wollte, alles sei in einer einzigen langen Einstellung gefilmt worden, fügt er diesmal sogar in Szenen, die keine Unterbrechung erfordern, ein paar verwirrende kurze Schwarzblenden ein (oft mitten in einem Gespräch zwischen zwei Sätzen). Vielleicht will er dieses kurze Dunkel ja augenzwinkernd als Lidschlag des Zuschauers verstanden wissen, wodurch wir uns erst recht als Voyeure empfinden dürfen. 8 von 10 Spermatozoen auf der 3D-Brille.

franco schedl

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Jeder neue Film von Gaspar Noé ist ein Ereignis. Wieder einmal lotet das Enfant terrible des französischen Kinos aus, was ein Film erzählen kann und darf.

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