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Andreas Horvath: „Dialoge lenken von den elementaren Fragen ab“

Andreas Horvaths Spielfilmdebüt "Lillian" feierte seine Premiere auf den Filmfestspielen in Cannes und kommt diese Woche in unsere Kinos.

von Oezguer Anil

09/03/2019, 09:16 AM

Andreas Horvath machte sich als Dokumentarfilmemacher international einen Namen und sorgte 2015 mit seiner Doku über Helmut Berger auf den Filmfestspielen von Venedig für Furore. In seinem ersten Spielfilm begleitet er eine junge Frau quer durch die USA und fängt in eindrucksvollen Bildern die Widersprüchlichkeit einer Nation ein. Wir haben uns mit dem Filmemacher getroffen und über die Herausforderungen bei den Dreharbeiten gesprochen.

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Was war der Ausgangspunkt für „Lillian“?

Der Ausgangspunkt war die wahre Geschichte von Lillian Alling. 1929 ist sie ziemlich verwahrlost von Arbeitern an der Yukon Telegraph Line in den Wäldern von British Columbia aufgefunden worden. Sie konnte kaum Englisch, aber sie konnte kommunizieren, dass sie Russin ist, aus New York kommt und vor hat, nach Russland zurückzugehen. Ihre Geschichte hat mir vor vielen Jahren ein kanadischer Autor in Toronto erzählt. Damals gab es weder in Büchern noch im Internet Informationen über Lillian Alling und ich habe mir sofort gedacht, das müsste man verfilmen. Vor allem auch so verfilmen, dass man den Film nicht 1929 ansiedelt und versucht ihre Biografie so genau wie möglich zu rekonstruieren, sondern dass man nur den Kern der Geschichte beibehält und daraus einen Spielfilm macht, der sehr dokumentarisch entsteht und in dem die Reise selbst die Handlung bestimmt.

Hatten Sie ein Drehbuch vor Drehbeginn? Wie haben die Dreharbeiten ausgeschaut?

Wir haben mögliche Szenarien aufgelistet aber hatten kein Drehbuch, weshalb wir auch bis zum Schluss nicht wussten, wie und wo der Film konkret enden wird. Die Dreharbeiten haben 2015 in Tschukotka begonnen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht einmal, wer die Darstellerin sein wird, aber wir wussten, dass die Szene auf der sibirischen Seite der Beringstraße ohne sie stattfinden wird. Im nächsten Jahr haben wir über neun Monate hinweg Lillians Geschichte chronologisch gedreht. Ich war neun Monate durchgehend in den USA und das Team ist sieben Mal für jeweils zweiwöchige Drehblocks eingeflogen.

Wie wählt man aus so viel Material aus, welche Szenen schlussendlich im Film landen und welche nicht?

Wir haben über 200 Stunden Material gesammelt, was eigentlich gar nicht so viel ist für einen neun Monate langen Dreh. Es ist sehr viel beim Schnitt entstanden — viel mehr, als bei einem klassischen Spielfilm üblich, bei dem der Schnitt sich hauptsächlich am Drehbuch orientiert. Auch der Schnitt war eher an die Arbeitsweise bei einem Dokumentarfilm angelehnt.

Ihre Hauptfigur spricht mit Ausnahme der ersten Szene nichts. Sie arbeiten sehr stark über die Bildebene, hatten Sie ein visuelles Konzept?

Als Kameramann habe ich versucht, mich nicht zu sehr durch ein Konzept einengen zu lassen, sondern mich immer an die jeweilige Situation anzupassen. Das Entscheidende ist für mich, dass der Zuseher den Überblick über den Raum behält — egal, ob es sich um einen Innenraum oder eine weite Landschaft handelt. Das Gehen ist das Hauptmotiv in diesem Film — umso mehr, als die Protagonistin praktisch nicht spricht. Ihre Geschichte erzählt sich darüber, wie sie vorankommt, wie beschwerlich oder gefährlich gewisse Abschnitte sind etc. Um das Gehen aus unterschiedlichen Perspektiven zu zeigen, verwendeten wir eine Reihe von Kameras: Neben einer klassischen Stativkamera und einer Handkamera, waren das vor allem ein Gimbal (das ist eine Art Steadycam, mit der wir ihr folgen konnten), sowie eine Drohne für Luftaufnahmen.

Sie schaffen in „Lillian“ eine unglaubliche Präsenz und Intimität. Man fühlt als Zuseher eine starke Verbindung zur Protagonistin. Wie haben Sie es geschafft, diese Intimität herzustellen?

Dadurch, dass sie nichts spricht, versetzt man sich als Zuseher mehr in sie hinein. Die alltäglichen Handlungen auf der Reise bekommen durch ihr Schweigen eine größere Bedeutung — keine Dialoge lenken ab von den elementaren Fragen und Bedürfnissen: wie komme ich vorwärts, wo finde ich Unterschlupf, wie ernähre ich mich.

Wie haben Sie Ihre Hauptdarstellerin Patrycja Planik gefunden?

Es war ein sehr langer Castingprozess, den Eva Roth betreut hat. Über ein Jahr lang haben wir Bewerberinnen aus der Ukraine, Rumänien, Kroatien, Polen, Deutschland oder Österreich gecastet. Wir haben auch Inserate geschaltet, und so haben sich irgendwann um die 700 Darstellerinnen, sowohl Amateure als auch Profis gemeldet. Schlussendlich hat meine Frau Patrycja in einem Cafe in Polen entdeckt und mich auf sie aufmerksam gemacht.

Man spürt auch die Veränderung der Protagonistin. Sie filmen sie so wie sie ist und zeigen auch ihre behaarten Beine. Wie haben Sie es geschafft, die Veränderung von Lillian so eindrücklich festzuhalten?

Das war der großzügig anberaumte Zeitraum, über den hinweg wir gedreht haben. Diese Zeit spürt man intuitiv als Zuseher, glaube ich. An solchen Details, wie dem längeren Haupthaar oder eben den behaarten Beinen, erkennt man, dass tatsächlich viel Zeit vergangen ist. Der Film konnte nur so entstehen, dass man kontinuierlich über ein ganzes Jahr hinweg dreht. Man sieht auch, wie sich mit der Darstellerin die Jahreszeiten und die Geografie verändern. Man erahnt die Dimensionen von Raum und Zeit, die diese Geschichte von Lillian Allings Fußmarsch so außergewöhnlich machen.

Lillian, als Emigrantin in New York gestrandet, will zu Fuß in ihre Heimat Russland zurückgehen. Entschlossen macht sie sich auf den langen Weg.

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