"The Darkest Hour": Mr. Churchill mobilisiert die englische Sprache
"The Darkest Hour": Mr. Churchill mobilisiert die englische Sprache

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filmkritik

"The Darkest Hour" auf 3sat: Churchill mobilisiert englische Sprache

Gary Oldmans Oscar-reife Verwandlung in Premierminister Churchill ist einfach sensationell.

von

Franco Schedl
Franco Schedl

04/22/2022, 05:47 AM

Im Mai 1940 muss sich innerhalb weniger Tage entscheiden, wie Großbritannien auf die Bedrohung durch Hitlers Deutschland reagiert. Für den neugewählten Premierminister Winston Churchill ist die Sache von vornherein klar: man verhandelt nicht mit einem wahnsinnigen Diktator. Doch seine eigenen Parteigenossen sehen das anders und fallen ihm in den Rücken: sie wollen den unbeliebten Querkopf gleich wieder absetzen, falls er sich nicht zu Friedensgesprächen mit den Nazis bereiterklärt und England einen Krieg erspart. (Man wagt sich gar nicht vorzustellen, was dabei herausgekommen wäre, wenn die Briten wirklich klein beigebeben hätten.)

Oldmans Verwandlung

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Masken- und Kostümbildner sind oft echte Künstler - wie es Gary Oldman jedoch schafft, sich diese Rolle anzuverwandeln, grenzt fast an Zauberei und kann nur mit einem Oscar belohnt werden. Churchills imposante Persönlichkeit nimmt dank Oldmans Können in all ihren Widersprüchlichkeiten vor uns Gestalt an. Die missliebigen Kollegen tuscheln hinter seinem Rücken hämisch über den Politiker und bezeichnen seinen Vater als Syphilitiker, ihn selber als Säufer. Tatsächlich spricht der Mann dem Alkohol gerne und ausgiebig zu, und Kettenraucher ist er obendrein. Dazu kommt sein rauer Umgangston, der die Menschen oft verschreckt. Voll aufbrausendem Jähzorn kann er schon mal seine neue Stenotypistin (Lily James) an den Rand der Verzweiflung treiben; ja, er flößt sogar seiner Majestät, dem Stotterer King George VI., Angst ein, aber wenig später wird der Monarch dennoch für ihn Partei ergreifen.

 

Widersprüchliche Persönlichkeit

Einerseits erscheint er absolut weltfremd und gibt zu, noch nie vor einem Geschäft in der Kundenschlange gestanden zu haben oder mit dem Bus gefahren zu sein, und sein bisher einziger Versuch, die U-Bahn zu benutzen, ist ebenfalls kläglich gescheitert. Doch im wichtigsten Moment wird er dann die Fühlung zum Volk aufnehmen und unter den Straßen Londons ein erhellendes Gespräch mit den einfachen Leuten führen.
Er ist oft ein großer Nuschler, den man fast nicht versteht, und dennoch steckt in ihm auch ein begnadeter Redner, der alle mitzureißen vermag. Zuletzt heißt es sogar, er habe die englische Sprache selbst mobilisiert, als er in einer großen Rede das Land zum Widerstand gegen Hitler einschwört. Ein weiterer Grund, sich diesen Film unbedingt in der originalen (und höchstens deutsch untertitelten) Fassung anzusehen.

 

Dunkirk und Gallipoli

Dabei kommen auch Details zur Sprache, die den meisten von uns zweifellos nicht bekannt waren. Im ersten Weltkrieg hatte er die verlustreiche Schlacht von Gallipoli zu verantworten - eine Tragödie, die man ihm noch Jahrzehnte später nachträgt. Andererseits wird er nun - gegen jede Aussicht - die Rettung der in Dünkirchen eingekesselten Armee zuwege bringen. Vor wenigen Monaten erst hat uns Christopher Nolan mitten hinein ins Kampfgeschehen von "Dunkirk" versetzt, diesmal bekommen wir die Ereignisse von der anderen Seite des Kanals geboten und die Hintergründe des verzweifelten Ringens um die Rettung der britischen und französischen Truppen werden uns deutlich gemacht.

 

Weltgeschichte und Privatleben

"The Darkest Hour" ist ein grandioses Beispiel für einen gelungenen Historienfilm: hier wird Geschichte wirklich anschaulich - vor allem, wenn sie ein Könner wie Joe Wright ins Bild setzt. Wrights Bildkompositionen bieten immer wieder das reinste Vergnügen, denn er geht visuell so einfallsreich an die Szenen heran, dass uns seine Lösungen oft in verzücktes Erstaunen versetzten. Aufs Eleganteste vermischen sich bei ihm die politischen Geschehnisse mit den privaten.

Ein gutes Beispiel bietet dafür Churchills Antrittsrede als neugewählter Premierminister: während er im Parlament den Text vorträgt, bekommen wir in Zwischenschnitten zu sehen, wie die Rede daheim Gestalt angenommen hat - so diktiert er z.B. in der Wanne plätschernd seiner vor der Badezimmertür hingekauerten Sekretärin ein paar Sätze davon und warnt sie unvermittelt vor, dass er nun gleich im Adamskostüm an ihr vorbeigehen wird, was sie zu einem erschrockenen Rückzug veranlasst. Besser kann man das Erhabene mit dem scheinbar Banalen nicht vermengen. Das kluge Drehbuch hält viele solche Momente bereit und fügt scheinbar mühelos Churchills Charakterbild immer neue Facetten hinzu.

Zumindest hinter der Kamera ist uns ein Katastrophenszenario erspart geblieben: Was für ein Glück, dass von vornherein Gary Oldman die Hauptrolle gespielt hat und nicht etwa Kevin Spacey, denn sonst hätte man nach den aktuellsten Entwicklungen den ganzen Film nochmal neu drehen müssen.

10 von 10 undurchdringlichen Zigarrenschwaden.

"Die dunkelste Stunde" ist auf 3sat am 22. April um 20: 15 zu sehen.

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