Eros plus Massacre

Erosu + Gyakusatsu

J, 1970

FilmDrama

Eine gewaltige Meditation über die Zusammenhänge von Politischem und Privatem, von Liebe und Gesellschaft.

Min.165

Im Jahr 1913 wurde der Anarchist Ôsugi Sakae wegen einer Liebesaffäre von seiner Geliebten Kamichika Ichiko niedergestochen. Er konnte sich von der Verletzung erholen, wurde aber neun Jahre später, inmitten des Chaos nach dem verheerenden Kantô-Erdbeben, von der Militärpolizei verhaftet und zusammen mit seiner zweiten Geliebten Itô Noe ermordet. Yoshidas Erosu + Gyakusatsu unternimmt, ausgehend von diesen beiden historischen Wahrheiten, den experimentellen Versuch einer alternativen Geschichtsschreibung. Der dreieinhalbstündige Film beginnt mit der Antwort der Tochter von Ôsugi Sakae und Itô Noe auf die Frage eines Interviewers: «Wenn ich über Mutter sprechen soll, so gibt es keine Mutter. Wenn ich über die Mutter der Mutter sprechen soll, so gibt es keine Mutter der Mutter. Wenn ich über die Mutter der Mutter der Mutter sprechen soll, dann sind das Sie.» In dieser Textzeile ist Yoshidas Sicht zusammengefasst, die sich von Jôen (The Affair, 1967) bis zu seinem jüngsten Film Kagami no onnatachi (Women in the Mirror, 2002) wie ein roter Faden durch sein Werk zieht, nämlich die einer nur durch Frauen überlieferten Geschichte. Diese ist an der Grenzlinie zwischen Widerspruchspaaren wie Absenz und Präsenz, Inhalt und Leere oder Erinnerung und Vergessen angesiedelt. Wie beim Uroborosschen Rätsel werden Fragen automatisch auf den Fragenden zurückgeworfen. Erosu + Gyakusatsu stellt das Leben von Ôsugi Sakae keineswegs einer biografischen Ordnung folgend vor. Der Film geht vielmehr von der Gegenwart aus, die ein wenig von der radikalen Explosionskraft der sexuellen Befreiung verloren hat, und unternimmt den Versuch einer kritischen Neubewertung des Lebens des berühmten Anarchisten, der das Heiratssystem seiner Zeit ablehnte. Die einzelnen Episoden aus Ôsugis Leben, die unter japanischen Intellektuellen hinreichend bekannt sind, werden mit äußerster Distanz vorgestellt. Verschränkt sind sie mit der Geschichte einer jungen Frau der Gegenwart, die wegen angeblicher Prostitution von der Polizei verhört wird und die Beschreibung von Ôsugis Ermordung aus dem Mund ihres geschwätzigen Liebhabers anhört. Der Film springt zwischen Vergangenheit und Gegenwart und verdichtet sich schließlich im Fokus der Geschichte, der Messerstecherei im Jahr 1913. Am Ende versammeln sich alle Figuren der Vergangenheit zu einem gemeinsamen Erinnerungsfoto, und der Film endet in der Gegenwart, in der ein Paar lachend das verdunkelte Aufnahmestudio verlässt. Die in der Vergangenheit angesiedelte Geschichte wird im Kontext der Gegenwart nicht als Flashback abgerufen, sondern Vergangenheit und Gegenwart stehen in einer gleichwertigen Beziehung zueinander und laufen als zwei mögliche Realitäten parallel ab. In den 60er Jahren unternahm Yoshida mit der Schauspielerin Okada Mariko mehrere unumkehrbare Experimente über das Melodrama und seine Unmöglichkeit. Akitsu onsen (An Affair at Akitsu, 1962) war eine Kritik an der japanischen Nachkriegsgesellschaft mit Anleihen bei der Form des Melodramas, Honoo to onna (Flame and Woman, 1967) ein gedanklicher Versuch der Demontage des institutionellen Konzepts der Familie. In diesem Kontext stellt Erosu + Gyakusatsu den Versuch einer metafilmischen Analyse der verwobenen Beziehung zwischen Sexualität und Terrorismus in der japanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts dar. Yoshida baute danach diese Idee noch weiter aus und untersuchte in Rengoku eroika (Heroic Purgatory, 1971) die Beziehung zwischen der kommunistischen Bewegung im Japan der Nachkriegszeit und dem Terrorismus auf drei Zeitebenen der Vergangenheit, der Gegenwart und der nahen Zukunft , die er zu einem synchronen Tableau zusammenführt. In Kaigenrei (Coup dEtat, 1973) schließlich greift er den gescheiterten Putschversuch junger Offiziere im Jahr 1936 auf und konzentriert sich auf dessen ideologischen Hintergrund und das Tennô-Konzept Kita Ikkis, eines Denkers des buddhistischen Mystizismus. Erosu + Gyakusatsu stellt in dieser Entwicklung einen Wendepunkt dar und ist Yoshidas am breitesten angelegtes Werk. Okada Mariko erscheint in Erosu + Gyakusatsu, wie in den meisten Filmen Yoshidas, als geheimnisvolle Heilige mit kühlem Blick. Sie tritt sowohl als Objekt der Blicke der Männer in Erscheinung als auch in vielleicht noch größerem Maße als Subjekt, das sich selbst anstarrt. Der Film versucht jedoch keineswegs zu erzählen, was das Objekt dieser Betrachtung ist. Eine Interpretation wäre die Transzendenz wie das Göttliche. Erosu + Gyakusatsu ist eines der größten Rätsel des japanischen Kinos der 60er/70er Jahre, und es ist heute, mehr als 30 Jahre nach seinem Entstehen, größer denn je. 1923, kurz nach dem großen Kantô-Erdbeben, wurden Ôsugi Sakae und seine Geliebte Itô Noe von Amakasu Masahiko, einem Offizier der Militärpolizei, ermordet. Um die Ermordung Ôsugis ranken sich zahlreiche Geschichten, die zu seinem Mythos beigetragen haben. Sie habe ich zu erzählen versucht.

IMDb: 8.3

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