An injury to one

Travis Wilkersons neuer experimenteller Dokumentarfilm beschäftigt sich mit dem heute vergessenen Lynchmord an dem Gewerkschafts-Organisator Frank Little in Butte, Montana, im Jahr 1917. Wilkersons letzter Film, Accelerated Development, bediente sich des radikalen Stils von Santiago Alvarez, um kubanische Geschichte zu erforschen; diesmal dient ihm die Geschichte Montanas als Illustration für den modernen Kapitalismus. Er analysiert Anaconda, die notorisch geldgierige lokale Kupferminen-Gesellschaft, ebenso wie die Versuche, um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine Gewerkschaft zu gründen, die die katastrophalen Arbeitsbedingungen anprangerte. Und er untersucht das aktuelle Umweltdesaster, das direkte Folge der Praktiken der Mine ist. An Injury to One ist zugleich ein Lamento und ein Aufruf, aktiv zu werden, eine historische Forschungsarbeit, das Porträt einer Stadt, einer Person, einer Firma, und das Beispiel einer überaus intelligenten und komplexen kontextuellen Studie. Wilkerson wechselt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Kultur und Politik hin und her; er versammelt Archivdokumente und aktuelle Bilder aus Butte, die Lieder der Bergleute und Frank Littles Reden. Er verändert die Bilder quasi von innen. Das ist sowohl ein Stilmittel als auch eine Metapher für seine Methode, die offizielle Geschichtsschreibung mittels alternativer Perspektiven in Frage zu stellen. (Kathy Geritz) Viele der heute noch existierenden Beweise sind in der Landschaft von Butte und seiner Umgebung zu finden. So wird eine Beziehung hergestellt zwischen dem ungelösten Mord an Little und dem versuchten Mord an der Stadt selbst. Dieses einzigartige Zwischending zwischen Film und Video vereint Bilder, die von einem Maler gemalt sein könnten, Schrift und eine kühne Sensibilität. Es ist ein ganz besonders gelungenes Beispiel der ästhetischen und politischen Möglichkeiten, die Filmemachen mit kleinem Budget im digitalen Zeitalter hat. (Robert Forster)