"28 Years Later"-Filmkritik: Nur nicht den Totenkopf verlieren!

Szene aus "28 Years Later"
Wie lange beträgt eigentlich die Halbwertszeit von Zombies? Dank Danny Boyle wissen wir jetzt, dass es mindestens 28 Jahre sein müssen, denn nach diesem langen Zeitraum nimmt er seine Horror-Erzählung wieder auf (und immerhin sind in der realen Welt seit dem Kinostart von "28 Weeks Later" auch schon 18 Jahre vergangen).

Szene aus "28 Years Later"
Unterwegs mit Pfeil und Bogen
Wutbürger hat es zwar immer gegeben, doch das Rage-Virus steigert die Aggressivität aller Befallenen ins Unermessliche. "28 Years Later" versetzt uns also in eine Welt, in der das Virus nach wie vor wütet. Neuer Schauplatz ist zunächst eine kleine Enklave auf einer Insel vor der nordostenglischen Küste, wo Menschen seit Jahren Zuflucht gefunden haben. Der wagemutige Jamie (Aaron Taylor-Johnson) zieht eines Tages in Begleitung seines 12jährigen Sohnes Spike (Alfie Williams) mit Pfeil und Bogen bewaffnet hinaus ins Ungewisse, um eine bestimmte Mission zu erfüllen. Auf dem Festland ist nur eines sicher: Dass man von zombiartigen Kreaturen erwartet wird, um in Stücke gerissen oder gebissen zu werden, falls man sich nicht wirkungsvoll zur Wehr setzen kann.

Szene aus "28 Years Later"
Einfallsreiche Mutationen
Boyle und sein genialer Drehbuchautor Alex Garland haben sich einiges einfallen lassen, um zu zeigen, welche Konsequenzen die lange zurückliegende Katastrophe auf das Zusammenleben der Menschen hat. Auch die Virenopfer haben sich weiterentwickelt und unterschiedliche Mutationen durchlaufen: Während einige von ihnen neuen Neandertaler gleichen und ziellos herumstolpern, winden sich andere mit dem Umfang von Sumoringern wie groteske Würmer über den Erdboden und ernähren sich passenderweise auch hauptsächlich von Regenwürmern. Ganz oben in der Mutationskette stehen dann schließlich die sogenannten Alphas – mit Bodybuildermaßen und Berserkerkräften gleichen sie Conan-Zombies auf Stereoiden und haben sogar einen deutlich höheren IQ.

Szene aus "28 Years Later"
Eine Story voll origineller Wendungen
Die Handlung wirkt ja zunächst nicht sehr originell und hat etwas Austauschbares an sich: eine abgekapselte Gruppe von Überlebenden, der Rückfall in eine vortechnisierte Welt, das lautlose Streifen durch Feld und Wald mit archaischen Waffen, während hinter jedem Busch ein kaum noch menschliches Raubtier lauern kann. Man sollte glauben, solche Geschichten seien inzwischen in diversen anderen Filmen bereits mehrfach ganz ähnlich erzählt worden – und "The Walking Dead" sind schließlich auch nicht spurlos an uns vorübergegangen.
Doch was als typische Vater-Sohn-Endzeit-Story beginnt, entwickelt sich bald in eine völlig andere Richtung, und Danny Boyle lässt in seinem intensiven Coming-of-Age-Horror die Regeln des Genres weit hinter sich, um unsere Erwartungshaltung immer wieder zu unterlaufen. Auch dank einer suggestiven Montagetechnik, wodurch er vor allem im ersten Drittel unvergessliche Bild- und Tonfolgen erzeugt, ist er auf der Höhe seiner Kunst. Obendrein zeigt er einen sehr dunklen Humor – gleich zu Beginn tummeln sich die Teletubbies über einen Fernsehschirm, während die kindlichen Zuschauer in Tränen aufgelöst oder starr vor Schrecken sind und zu fröhlicher Musik alles eine blutige Wendung nimmt.

Szene aus "28 Years Later"
Ralph Fiennes leistet Knochenarbeit
Nicht nur das Erwachsenwerden unter schwierigsten Bedingungen steht hier im Zentrum, sondern auch der Umgang mit Krankheit und Verlust. Daher haben die eindrucksvollsten Momente gar nichts mit typischem Zombiehorror zu tun, sondern spielen sich in nächtlicher Stille bei Feuerschein ab, als ein Arzt in Gestalt von Ralph Fiennes eine Diagnose stellt. Auf diesen Star müssen wir ziemlich lange warten und als er dann endlich auftritt, werden wir erst recht überrascht sein, da wir uns aus bisherigen Andeutungen ein ganz falsches Bild von der Figur gemacht haben. Ein recht seltsamer Charakter ist es trotzdem: Wie der Oberpriester eines Knochenkults türmt er Totenschädel zu Pyramiden auf und geht auch ansonsten recht künstlerisch mit den Gebeinen um. Wer sich nun fragt, warum er diese Mühen auf sich nimmt, erhält von dem gebildeten Mann einen lateinischen Denkspruch zur Antwort.

Szene aus "28 Years Later"
Nächster Teil ist bereits in Sicht
Und nachdem wir erst kürzlich eine Pandemie überstanden haben, sieht man die Thematik erst recht mit anderen Augen. Vermutlich war Corona auch ein wichtiger Grund, weshalb dieses lange aufgeschobene Filmprojekt nun endlich verwirklicht werden konnte. Ja, mehr sogar: Uns erwartet mit "28 Years Later" der Auftakt zu einer richtigen Trilogie.
Frühere Figuren, die man aus dieser Filmreihe kennt, tauchen hier zwar nicht mehr auf, doch immerhin stehen die Chancen gut, dass Cillian Murphy dann tatsächlich im kommenden Teil vorbeischaut. Anfang 2026 - also 6 Months Later - soll es bereits mit "The Bone Temple" weitergehen, und es bleibt zu hoffen, dass die Fortsetzung unter Nia DaCosta Regie wenigstens annähernd so gut ist, wie dieser aktuelle Film; was aber schwer vorstellbar ist, denn Boyle erreicht hier das Niveau von Zombievater Romero zu dessen besten Zeiten.
4 ½ von 5 Menschenschädeln, an deren Hälsen noch die Wirbelsäule baumelt
"28 Yeats Later" ist derzeit in unseren Kinos zu sehen. Hier geht's zu den Spielzeiten!