Die Geschichte von Jean Harlow in typischer Factory-Underground-Manier.

Min.67

Jean Harlow ist, genau wie Mae West und Marilyn Monroe, ein Transvestit: Die femininen Züge an ihr sind so überbetont, dass sie, statt wirklich zu sein oder Wirklichkeit zu repräsentieren, zum Kommentar über die Weiblichkeit werden. Aus diesem Grunde wird die Harlow von einem Mann verkörpert, und der Homo-Star in der Frauenrolle sitzt Seite an Seite mit einer lesbischen Geliebten auf der Couch. Die männlichen Gegenstücke der beiden «Damen» stehen hinter dem Sofa. Die Harlow hat einen Mafia-Typ als Partner; die Lesbe hat einen weniger konventionellen Aufpasser, der sich durch düstere Attraktivität auszeichnet, und durch die gleiche geheimnisvolle Bewegungslosigkeit, die ihr selber eigen ist. Die Lesbe trägt ein schwarzes Abendkleid und hält eine große, weiße, shamponierte Katze auf dem Schoß, die zum Zentrum alles Gedanklichen wird, das der Film enthält. Die Harlow ist, nachdem sie pflichtgemäß für das Gruppenbild am Anfang des Films posiert hat, das Zentrum aller Bewegung. Das Bild, das den Film eröffnet, ist freilich weniger ein lebendes Bild, als eines jener steifen Familienfotos des fin de siècle. Aber was für eine Familie ist auf diesem Foto versammelt! Nachdem das Publikum genügend Zeit gehabt hat, solange im Kreise herum zu denken, bis es an den Ausgangspunkt seiner Überlegungen zurückgekehrt ist, beginnt für die Harlow das epische Abenteuer eines Bananenschmauses, der sich fast bis zu einer Orgie des Bananenverkehrs steigert, die faktisch die gesamte Handlung ausmacht. Die Bananen wirken unendlich phallisch in den Händen und im Mund der Harlow, an ihren Beinen, zwischen ihren Schenkeln, in ihrem Hinterteil. Sie tauchen aus ihrer billigen, mit Glasperlen bestickten Handtasche empor, werden ihr von dem Mafia-Typ gereicht, quellen unter der Sitzfläche der Lesbe hervor. Die Lesbe wird von der Harlow als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, als Teil des Inventars, als feste Einrichtung. Nur einmal nimmt die Harlow ihre Existenz ausdrücklich zur Kenntnis, indem sie sie flüchtig mit einer angebissenen Banane neckt. In der Mitte des Films visiert die Harlow den Italiener an. Sie flirtet schamlos mit ihm, aber sie macht dabei nicht den Eindruck, als hätte sie ein Individuum, eine Persönlichkeit vor sich; ihre Verführungsgesten machen seinen Nominalwert als Mann sichtbar. Schließlich rafft sie sich schwerfällig auf und küsst ihn. Der Kuss wirkt plump, lieblos, beiläufig. Seine Bedeutungslosigkeit lässt Hunderte von Deutungen zu. Und schon gibt sich die Harlow wieder den Wonnen des Bananenkonsums hin. Die Art, wie sie ihn vernachlässigt, erregt den Mafia-Typ. Er beginnt mit einem Zigarettenspiel. Wie schwach und klein dieser Phallus zunächst wirkt, wie zart der Rauch, der über den Bananen schwebt. Er versucht, bei dem reglosen Mann an seiner Seite ein stärkeres Echo zu provozieren. Der Mann lässt sich die noch nicht brennenden Zigaretten seitlich zwischen die Lippen schieben, lässt sie jedoch fast im gleichen Augenblick zu Boden fallen. Unsere Aufmerksamkeit konzentriert sich auf diese ausdruckslose Gestalt. Langsam befeuchtet er seine Lippen mit der Zungenspitze. Wer ist dieser Mann? Der Liebhaber des elegant gekleideten Gangsters? Der Liebhaber der hypnotisierten Lesbe? Jedenfalls entpuppt er sich als der sinnlichste und verführerischste des Quartetts. Die konservativ gewandete Lesbe ist so schweigsam und hölzern, dass sie den Eindruck erweckt, als schliefe sie mit offenen Augen. Ein unvorhersehbares Ereignis zwingt sie, in Aktion zu treten: Der Zigarettenrauch irritiert die Katze, und sie macht plötzlich den Versuch zu entwischen. Ohne ihren starren Blick von uns abzuwenden, packt die Lesbe die Katze energisch beim Genick und deponiert sie ohne viel Federlesens wieder auf ihrem Schoß; die Katze kapituliert. Sie vergräbt ihre Schnauze in Miss Harlows weißer Perücke, ihrer gehäuteten Schwester. Katze und Perücke wetteifern geduldig um den ersten Platz auf der Liste der Stars. Ronald Tavel, Auszug aus Banana Diary, «Film Culture» Nr. 40, N.Y. 1966
(Text: Viennale 2005)

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