"In ewiger Schuld": Lohnt sich die neue Netflix-Krimiserie?
Von Manuel Simbürger
In unserer Rubrik "Lohnt sich das?" stellen wir euch einmal wöchentlich einen Streamingtitel (Film oder Serie), der in aller Munde ist, vor, nehmen ihn genauer unter die Lupe und stellen für euch die altbekannte Frage: "Lohnt sich das überhaupt?" Lohnt es sich, dafür Zeit zu investieren? Ein Abo abzuschließen? Oder ein Abo zu beenden?
Diesmal: (Die ersten 2 Folgen von) "In ewiger Schuld" auf Netflix
Spricht man von erfolgreichen Netflix-Deals, denkt man als erstes an große Namen wie Sandra Bullock, Adam Sandler, Shonda Rhimes, Ryan Murphy oder Mike Flanagan. Harlan Coben hingegen wird da gerne etwas vernachlässigt, was unfair ist, weil der 61-jährige US-Schriftsteller bereits sieben (!) seiner Romane auf den Netflix-Bildschirm gebracht hat und dabei regelmäßig für Streaminghits sorgte – unter anderem mit "Ich schweige für dich", "Wer einmal lügt" und "Kein Friede den Toten". Aber auch "Safe" (mit "Dexter"-Star Michael C. Hall) oder "Das Grab im Wald" stammen ursprünglich aus der Feder Cobens. Die Qualität der Produktionen ist dabei durchaus unterschiedlich, aber was soll's, für Binge-Material sorgen die Thriller mit zahlreichen Wendungen alle Male.
Nun ist, pünktlich zu Jahresbeginn, eine weitere (Mini-)Serie auf Netflix gestartet, die auf einem Erfolgsroman von Coben basiert: "In ewiger Schuld" ist seit dem 1. Jänner am roten Streamingportal zu sehen, mit "Downton Abbey"-Darstellerin Michelle Keegan in der Hauptrolle. Dabei bekommt man das, was erwartet wird. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Worum geht's in "In ewiger Schuld"?
Die Prämisse ist durchaus spannend und vielversprechend, wenn auch klassische Thriller-Materie: Die Ex-Army-Soldatin Maya Stern (Keegan) verarbeitet immer noch den Tod ihres Ehemanns Joe (Richard Armitage), der zwei Wochen zuvor brutal vor ihren Augen ermordet wurde (und aus gutem Hause stammt – etwas, das Mayas snobistische Schwiegermutter Judith (Joanna Lumley) sie nicht vergessen lässt). Zusätzlich zu diesem schlimmen Ereignis kommen nun auch Erinnerungen an ihre traumatischen Erlebnisse im Krieg sowie an den Mord an ihrer Schwester auf. Verständlich, dass Maya mit einer posttraumatischen Belastörungsstörung zu kämpfen hat.
Eines Tages jedoch kann Maya ihren Augen kaum glauben: Auf der (heimlich installierten) Nanny-Cam entdeckt sie Joe, der seelenruhig mit der gemeinsamen kleinen Tochter spielt. Aber sollte der nicht eigentlich tot sein? Natürlich setzt Maya sofort alle Hebel in Bewegung, um das Geheimnis zu lüften. Nur blöd, dass ihr niemand glauben mag – auch nicht der Polizeibeamte Sami Kierce (Adeel Akhtar), der die Morduntersuchung zu Joes Tod leitet. Der allerdings hat sowieso mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen – und schon sehr bald stellt sich heraus: Sami ist nicht der, der er zu sein scheint. Aber das ist in "In ewiger Schuld" ohnehin niemand, was nicht überrascht, da wir es hier schließlich mit einem Coben-Thriller und einer Netflix-Serie zu tun haben ...
Überraschungen mit ad-absurdum-Effekt
Coben-Fans, die den zugrunde liegenden Roman schon kennen, wissen ohnehin bereits: Die typische Coben-DNA ist auch in "In ewiger Schuld" zu finden. Heißt: eine britische Upper-Class-Familie mit einer nahezu historischen Ahnengeschichte, die natürlich viele dunkle Geheimnisse verbirgt. Im Vergleich dazu sind die Ortsbewohner:innen betont geerdet und bodenständig, ja gar sehr simpel gestrickt. Verschwommene Bilder mit vielen Blendeffekten gibt es ebenso wie altbekannte TV-Tropen und Charakterklischees (von der unsympathischen Schwiegermama über die ach-so-taffe Army-Militärin und den aggressiven Fußball-Coach bis hin zum naiv-engagierten Cop-Neuling mit Millenium-Sprech) sowie natürliche jede Menge (JEDE Menge!) falsche Fährten sowie Twists und Turns.
Jede der insgesamt acht Episoden enden mit einem Cliffhanger, sodass man sich dem Binge-Watching beinahe nicht verwehren kann. Spannend ist die Story deshalb durchaus, man will wissen, was hinter dem (vermeintlichen?) Tod und allen anderen Geheimnissen in der Serie (die mitunter beinahe überladen anmuten) steckt. Mitunter kann man sich die Entwicklung denken, aber macht ja nix, die Neugier siegt am Ende doch. Wendungen und Cliffhanger kann man "In ewiger Schuld" nicht vorwerfen, aber weil Coben so sehr wie für seine Überraschungen bekannt ist (ähnlich wie Sebastian Fitzek), werden eben diese ein bisserl ad absurdum geführt: Wenn man weiß, dass man überrascht wird, bleibt natürlich der Überraschungs-Effekt aus.
Suchtfaktor trotz mangelnder Inhaltsstoffe
Das wäre okay, doch leider sind die Kamerafahrten und die Schnitte teils derart laienhaft und unmotiviert durchgeführt, die Darstellungen des Casts derart hölzern (im Grunde ist die Serie eine Michelle-Keegan-Show, auch wenn diese in den Trauerszenen kläglich versagt, uns ihren innerlichen Schmerz fühlen zu lassen) und die Dialoge ärgerlich simpel (dem Publikum wird wirklich jedes Detail und jede Wendung bis aufs Äußerste erklärt), dass "In ewiger Schuld" von Telenovela-Qualität nicht weit entfernt ist. Subtilität sollte man sich hier nicht erwarten.
Deshalb kann man "In ewiger Schuld" durchaus auch mit Junk Food oder Süßigkeiten vergleichen: Hat man einmal begonnen, kann man schwer wieder aufhören, auch wenn man weiß, dass es mit den Inhaltsstoffen eigentlich nicht weit her ist.
Glaubt man aber britischen Reviews zu "In ewiger Schuld", nimmt die Serie ab Episode 5 an Fahrt auf, die zweite Hälfte der Serie dürfte deshalb um einige Grade besser sein als die erste. Das Ende – hallo, Romanvorlage! – ist etwas überspitzt und weit hergeholt, aber wenigstens fließen die zahlreichen Storyfäden ineinander und ergeben ein rundes Finale. Durchhalten scheint sich also zu lohnen. Und wer am Ende tatsächlich begeistert war, darf sich freuen: Netflix plant bereits weitere Harlan-Coben-Verfilmungen.
3 von 5 Sternen
Für Fans von: "Safe", "Wer einmal lügt", "Ich schweige für dich", "Kein Friede den Toten", "Sebastian Fitzeks Die Therapie", "Clickbait"