"Like A Complete Unknown"-Filmkritik: Bob Chalamet rocks!
Szene aus "Like A Complete Unknown"
Seit rund 65 Jahren macht er Musik und singt mit seiner unverwechselbaren Stimme eigene Texte, die so brillant sind, dass sie ihm sogar den Nobelpreis für Literatur eingebracht haben. Die Rede ist natürlich von Bob Dylan. Da derzeit Biopics über Musiker boomen, ist es keine Überraschung, wenn nun James Mangold mit "Like A Complete Unknown" einen Film über diesen Ausnahmekünstler vorlegt.
Szene aus "Like A Complete Unknown"
Klassisches Biopic über fünf entscheidende Jahre
2007 wählte Todd Haynes für "I'm Not There" einen eher experimentellen Ansatz und ließ sechs Darsteller verschiedene Aspekte der vielschichtig-rätselhaften Figur verkörpern. Mangold bleibt hingegen viel bodenständiger und erzählt auf geradlinige Weise von einer genau festgelegten Zeitspanne. Es beginnt damit, dass der junge Dylan fast ohne Geld, aber mit einer Gitarre in der Hand, Anfang der 60er nach New York zieht und dort einen kometenhaften Aufstieg beginnt.
Zunächst in der Folk-Szene, im Zeichen seines Vorbilds Woody Guthrie, den er am Krankenbett besucht und tatkräftig unterstützt durch den Mentor Pete Seeger (Edward Norton). Nach diversen rein akustischen Konzerten kommt es dann auf dem Newport Folk Festival 1965 zum Eklat, als Dylan zur E-Gitarre greift und sich mit einer Band als Rock'n'Roller neu erfindet. Ein Mann, der seinen Weg geht, ein Künstler, der seiner Berufung folgt, ein Musiker, der von Folk zu Rock wechselt – das sind die Vorgaben des Biopics, die somit auch der literarischen Vorlage gerecht werden, bei der es sich um Elijah Walds Sachbuch "Dylan goes Electric" von 2015 handelt.
Szene aus "Like A Complete Unknown"
Chalamet macht die Musik
Der junge Filmstar macht sich die Rolle des jungen Musikstars so sehr zu eigen, dass man nicht genau weiß, ob man da Timothée Dylan oder Bob Chalamet vor sich hat. Wenn er singt, Gitarre spielt, in die Mundharmonika bläst oder das Klavier bearbeitet, produziert er lauter Originaltöne und kann auf Playback verzichten. Er ist ein echter Wandlungskünstler und wird so Dylan mehr als gerecht, der sich ebenfalls immer wieder neu erfindet und bereits in der relativ kurzen Zeitspanne 1961-1965 unterschiedliche Erscheinungsbilder und verschiedene Gesangsstile durchläuft. Chalamet bringt es mit geradezu unheimlicher Sicherheit fertig, immer den richtigen Ton zu treffen.
Ebenso sensationell kommt auch Monica Barbaro als Joan Baez daher, und Elle Fanning bildet als bodenständige Dylan-Freundin Sylvie Russo (eigentlich ist Suze Rotolo gemeint) einen sympathischen Ruhepol im gehetzten Musikerleben. Ein besonderer Bonus besteht sozusagen darin, dass bei Mangold 20 Jahre nach "Walk the Line" nun erneut Johnny Cash auftritt (diesmal in Gestalt von Boyd Holbrook aus "Narcos" und "The Sandman") – hier ist er freilich nur eine Nebenfigur, bestärkt Dylan aber wesentlich auf dessen Weg.
Szene aus "Like A Complete Unknown"
Sprechende Musik und Ausstattungs-Orgie
Oft braucht es gar keine gesprochenen Worte, weil die gesungenen genügen, um das Geschehen zu kommentieren. So erkennt etwa Sylvie/Szue schlagartig durch einen Song, dass ihr gemeinsamer Weg mit Dylan endgültig vorüber ist, und auch Bobs Abschiedstreffen mit Guthrie im Krankenhaus wird durch die entsprechende musikalische Begleitung zu einem wirklich herzzerreißenden Ereignis.
Doch nicht nur schauspielerisch und musikalisch ist diese Produktion genial, sondern auch bei der Ausstattung hat man wahre Wunder vollbracht, um uns eine möglichst authentische Zeitreise in die 60er zu gewährleisten. Wir können sicher sein, dass hier jedes Detail passt - besonders Dylan damalige Wohnung wurde mit gewaltigem Aufwand rekonstruiert und die Einrichtungsgegenstände dank Fotografien genau nachgebildet. Da stimmt noch jeder Kaffeefleck, wie Chalamet scherzhaft meinte (obwohl er zweifellos recht hat). Wer also ein Gefühl für diese längst vergangene Ära entwickeln möchte, kann sich zwar kein Reiseticket, aber eine Kinokarte kaufen.
Szene aus "Like A Complete Unknown"
Mangold bleibt bei seiner Inszenierung also immer auf der sicheren Seite, dennoch entlässt uns "Like A Complete Unknown" wunschlos glücklich, aber falls man doch einen formulieren müsste, wäre es folgender: Dass Dylan auf seiner nächsten US-Tour, die schon in diesem Frühjahr ansteht, bei einem Konzert unverhofft Chalamet auf die Bühne holt, damit sie wenigstens für einen Song lang gemeinsam aufspielen und singen.
5 von 5 alle Stücke spielenden Wuschelköpfen
"Like A Complete Unknown" läuft derzeit in unseren Kinos. Hier geht's zu den Spielzeiten!