"Nosferatu"-Filmkritik: Brust-Beißer im Borat-Look
Wer ist denn diese lange, blasse Figur mit den spitzen Fingernägeln und den noch spitzeren Zähnen? All jene, die das wirklich noch nicht wissen, sollten spätestens jetzt schnellstens den Filmtitel nachlesen. Der Blutsauger mit dem fremdländischen Namen ist ja schon öfter in Erscheinung getreten: zuerst Schwarz-Weiß in Gestalt des mysteriösen Max Schreck im Jahr 1922, fast 60 Jahre später erzählte Werner Herzog mit seinem "liebsten Feind" Klaus Kinski den Stummfilmklassiker noch einmal neu, und nun ist Robert Eggers ("The Witch", "Der Leuchtturm") an der Reihe, den Vampir Nosferatu erneut auf uns loszulassen.
Love-Interest eines Vampirs
Nicholas Hoult scheint ein besonders süßes Blut zu haben, weil er praktisch ständig Vampire auf sich lenkt: Erst vor wenigen Monaten war er als Renfield der unfreiwillige Helfer Draculas und nun kehrt er im fernen Transsylvanien bei Nosferatu ein. Hauptfigur ist er aber keineswegs, denn in dieser Version stehen Frauen im Mittelpunkt, und Eggers konzentriert sich vor allem auf die von Lily Rose-Depp gespielte Ellen Hutter.
Wenn man zum Love-Interest eines Vampirs wird, darf man sich natürlich nicht über baldige Blutarmut wundern. Ellen ist jedoch bereits seit etlichen Jahren in den Bann des Unheimlichen geraten und führt sozusagen eine ungesunde Fernbeziehung, ohne Nosferatu überhaupt zu kennen. Ihr Gatte Thomas muss da zwangsläufig den Kürzeren ziehen und wird von den Mächten des Bösen zu einer reinen Spielfigur degradiert. Die Ehemänner sind hier überhaupt ratlos und beschwören durch Starrsinn oder Geldgier ein Unglück nach dem anderen herauf.
Ein unkenntlicher Star mit seltsamem Bissverhalten
Emma Corrin (einst Diana in "The Crown") und Aaron Taylor-Johnson spielen ein anderes tragisches Pärchen, das ebenfalls dem Vampir-Fluch unterliegt. Simon McBurney darf sich als Nosferatus Gehilfe hemmungslosem Wahnsinn hingeben, und Willem Dafoe bietet einen exaltierten Auftritt als Wissenschaftler mit Vorliebe fürs Okkulte – er könnte auch ein verrückter Professor aus einem alten Horrorfilm der Marke Hammer sein.
Und wie steht es um Bill Skarsgård? Kann er es in der Titelrolle mit Schreck oder Kinski aufnehmen? Nachdem er Clown Pennywise gespielt hat, ist das eigentlich eine überflüssige Frage - natürlich kann er das, aber wenn wir seinen Namen vorher nicht gelesen hätten, würden wir ihn gar nicht erkennen. Eggers lässt sich Zeit, bis er uns den Blutsauger endlich in seiner ganzen verrotteten Pracht zeigt. Sobald wir den großgewachsenen Mann mit dem buschigen Schnäuzer dann endlich sehen, wird man sich unwillkürlich fragen, ob nicht eher Sacha Baron Cohen in der Maske steckt.
Skarsgård ist jedenfalls wieder ein Erlebnis, obwohl er wie ein zum Vampir gewordener Borat wirkt. Außerdem legt dieser Untote ein ungewöhnliches Essverhalten an den Tag, indem er sich vor allem die Brust als Biss-Stelle aussucht. Müsste die Halsschlagader nicht viel ergiebiger sein?
Freud und Exorzisten lassen grüßen
Die stimmigsten Momente und Ideen hat der Regisseur fast 1 : 1 von Murnau und Herzog übernommen. Dagegen versucht sich Eggers dann von den großen Vorbildern abzuheben, indem er sich ganz auf die weibliche Psyche und den Mechanismus der Besessenheit konzentriert – doch seine eigenen Zugaben lassen sich oft unter das Motto "Weniger wäre mehr" stellen.
So hat man den Eindruck, alle paar Minuten an einem anderen Krankenlager zu verbringen und es wird keine "Symphonie des Grauens", sondern eine Komposition aus krampfhaft zuckenden und verdrehten Körpern, in Schweiß gebadeten Gesichtern, wie im Delirium herausgestoßenen Sätze und Mündern, von denen Schaum tropft. Eggers treibt geradezu "Studien über Hysterie", aber nicht so ganz im Sinne Freuds. In seinem Film liegen keine psychoanalytischen Probleme vor, sondern die Symptome beruhen tatsächlich auf dämonischer Macht, weshalb das Werk zwischendurch auch mal kurz ins Exorzismus-Genre abdriftet.
Starke Bilder und tote Frauen
Seine wirkliche Stärke entwickelt Eggers beim Schaffen von Settings: Ein Friedhof im Dünensand oder eine nächtliche Straßenkreuzung bei Schneefall erinnern an faszinierende Gemälde von Caspar David Friedrich, dem großen Landschaftsmaler der Romantik; und jenes Bild, mit dem uns der Film dann entlässt, würde sich perfekt als Album-Cover einer Dark-Metal-Band eignen.
Wirklich überzeugend fällt seine neue Nosferatu-Version also nicht aus; aber egal, welcher Regisseur den Stoff umsetzt – mit einer Konstante kann man immer rechnen: Die Frau muss zuletzt sterben und darf nicht einmal zur Vampirin werden. Bei einer kommenden Verfilmung wäre wohl die Zeit für eine Regisseurin reif.
3 von 5 abgebissenen Taubenköpfen
"Nosferatu - Der Untote" startet offiziell am 2. Jänner 2025 in unseren Kinos, läuft aber schon ein paar Tage zuvor. Hier geht's zu den Spielzeiten!