Netflix-Serie: Dracula

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Serien-Review

"Dracula": Warum die stimmige Vampir-Serie im letzten Drittel enttäuscht

Im blutleeren Finale gehen den "Sherlock"-Schöpfern Steven Moffat und Mark Gatiss leider die originellen Ideen aus.

von

Erwin Schotzger
Erwin Schotzger

01/10/2020, 10:20 AM

Was haben Graf Dracula und Sherlock Holmes gemeinsam? Beide sind Romanfiguren, die der fantastischen Literatur des ausklingenden 19. Jahrhunderts entstammen. Der erste Roman mit dem Meisterdetektiv erschien 1887, der Vampir-Roman von Bram Stoker im Jahr 1897. In genau diesem Jahr beginnt auch die neue Serie der "Sherlock"-Macher Steven Moffat und Mark Gatiss. Spätestens seit sie mit ihrer BBC-Serie "Sherlock" den trockenen Meisterdetektiv als soziopathischen Nerd ins 20. Jahrhundert überführt haben, sind die beiden als kongeniales Autoren-Duo bekannt – und nun ein weiteres Bindeglied zwischen den beiden Romanfiguren, die in Film und Fernsehen bis heute populär sind.

Ähnlich wie "Sherlock" hält sich auch die dreiteilige BBC-Serie "Dracula" in den wesentlichen Kernelementen recht eng an die Geschichte des transsylvanischen Untoten, nimmt aber auch entscheidende Veränderungen vor. Anders als "Sherlock" beginnt die Geschichte nicht im 20. Jahrhundert, sondern im Jahr 1897 (zu dieser Zeit spielt etwa auch die Literaturvorlage). In der ersten der jeweils rund 90-minütigen Episoden wird der Besuch von Jonathan Harker beim rumänischen Grafen Dracula im Rückblick und aus der Sicht des britischen Anwalts geschildert. In der zweiten Episode reist der Graf – nicht in einem Sarg versteckt, sondern als offizieller Passagier – mit dem Schiff nach England. Moffat und Gatiss, der auch diesmal wieder in einer Nebenrolle als Schauspieler auftritt, haben wieder einige Veränderungen an der Geschichte vorgenommen. Doch erst mit dem Beginn der dritten Episode erfolgt jene gravierende Neuinterpretation der Geschichte, die wohl jeder Kenner von "Sherlock" von den beiden Autoren erwartet hat.

Aus unserer Sicht wäre es besser gewesen, diesen Erwartungen nicht zu entsprechen.

Doch bevor es weitergeht: SPOILER-ALARM! Wer hier weiterliest, muss mit einigen Spoilern zur Handlung der Netflix-Serie "Dracula" rechnen!

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Netflix-Serie: Dracula

Bissiger Humor

Die ersten beiden Episoden sind eine durchaus traditionelle Variante der Vampir-Geschichte von Bram Stoker bis zur Ankunft des untoten Grafen in England. Selbstverständlich haben sich Moffat und Gatiss einige Änderungen einfallen lassen, die der Geschichte und vor allem den Charakteren neue Aspekte abgewinnen. Die düstere Horror-Atmosphäre dieser Episoden ist eine stimmige Reminiszenz an die Dracula-Filme mit Christopher Lee von der legendären Produktionsfirma Hammer Films. Claes Bang erweist sich dabei als würdiger Lee-Nachfolger. Er ist ein charismatischer Dracula, zeitgemäß modernisiert und dennoch mit klassischem Flair. Zudem punktet die Serie mit bissigem Humor und zynischen Wortspielen wie wir sie auch aus "Sherlock" kennen. "Sie sind ein Monster", sagt Jonathan Harker (John Heffernan) einmal zu Dracula. "Ja, und Sie ein Anwalt – niemand ist perfekt", antwortet der Graf.

Im Rückblick erzählt der schwer gezeichnete Harker von seiner Gefangenschaft und der Flucht aus dem mysteriösen Schloss des Grafen. Dabei stellt sich heraus, dass Dracula nicht aus Zufall zum Aristokraten unter den Vampiren geworden ist.

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Du bist, was du isst

Dracula ist sozusagen ein Gourmet. Er hat – nicht nur, aber vor allem – Menschen ausgesaugt, die ihn in der einen oder anderen Art und Weise weitergebracht haben. Denn mit dem Blut seiner Opfer saugt er auch ihr Wissen und ihre Fähigkeiten auf. Die Aussage "Du bist, was du isst" war nie zutreffender. Dieser Drang nach Wissen und Erfahrungen ist es auch, der Dracula nach England treibt. London liegt am Puls der Zeit. Kein Wunder also, dass es ihn dorthin zieht, um das pulsierende Leben der Stadt förmlich in sich aufzunehmen.

Mina Murray (Morfydd Clark), die Verlobte von Jonathan Harker, interessiert Dracula gar nicht. Sie spielt in der Serie nur eine untergeordnete Rolle. Aus der recht blassen Figur hätte sicher mehr herausgeholt werden können.

Viel interessanter ist hingegen, was Moffat und Gatiss aus Draculas Gegenspieler Van Helsing machen. Er ist nämlich eine Sie: Schwester Agatha (Dolly Wells) ist die Nonne, der Harker seine Geschichte in einem ungarischen Kloster erzählt. Die ganz und gar nicht ehrfürchtige Nonne könnte man wohl als knallharte Exorzistin beschreiben. Sie ist mit dem Mythos des Vampirismus vertraut und hat über dieses Phänomen akribisch Informationen gesammelt. Sie ist die einzige Herausforderung, auf die Dracula trifft. Kein Wunder also, dass der Fürst der Finsternis eine gewisse Leidenschaft für Agatha Van Helsing entwickelt. Denn die Motivation, seine Einsamkeit durch eine Partnerin zu beenden, die Seinesgleichen ist, treibt auch diesen Dracula an.

Die erste Episode hält einen spannenden Twist bereit. Und auch die zweite Episode, in deren Mittelpunkt die Schiffsreise nach England steht, überrascht mit einer interessanten Wende und einem spektakulären Cliffhanger.

 

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Zahnlos in die Zukunft

Der Sprung ins 20. Jahrhundert in der dritten Episode kommt nicht ganz unerwartet. Überraschend ist vor allem das Empfangskomitee für den Fürsten der Finsternis: ein bestens ausgerüstetes SWAT-Team der privaten "Jonathan Harker Foundation", vor über 100 Jahren gegründet von Mina Murray. Wissenschaftliche Leiterin der Foundation ist Zoe Helsing, eine Nachfahrin von Schwester Agatha, ebenfalls gespielt von Dolly Wells. Das private Unternehmen ist bestens auf die Ankunft von Dracula vorbereitet und sieht in ihm vor allem ein Forschungsobjekt.

Dieser vielversprechende Ansatz hätte in Richtung einer moralischen Umkehrung gehen können: Dracula als ausgebeuteter Sklave, der durchaus moralischen Grundsätzen folgt. Helsing als menschliches Monster, das ihn als Forschungsobjekt zur Herstellung von Supersoldaten missbraucht. Oder sogar als Attentäter wider Willen. Zugegeben eine recht trendige Interpretation, die ein wenig an die Superhelden-Truppe "Suicide Squad" erinnert. Doch in diese Richtung gehen Moffat und Gatiss ohnedies nicht. Leider fällt ihnen aber auch nichts Besseres ein.

Ab der Ankunft des charismatische Grafen im 20. Jahrhundert scheinen die beiden Autoren keinen echten Plan mehr für die Figur zu haben. Auch der bissige Humor verkommt rasch zu Plattitüden über das Lotterleben im 20. Jahrhundert. In all dem Luxus fühlt sich Dracula pudelwohl, denn seine Gefangenschaft lässt er ebenso rasch hinter sich wie seinen erfrischenden Zynismus. Kaum in Freiheit mutiert der Fürst der Finsternis zu einem zahnlosen Hedonisten. Unglaubwürdig ist weniger der Hedonismus als vielmehr der Verlust seiner Bedrohlichkeit. Der charismatische Graf ist von der ebenso jungen wie selbstverliebten Schönheit Lucy Westenra (Lydia West) begeistert, die er zu seiner untoten Begleiterin im ewigen Leben machen will. Dabei setzt er aber plötzlich – ganz zeitgemäß – auf das Einverständnis seines Opfers. Woher der Sinneswandel kommt, wird nicht ersichtlich.

Das gilt auch für Zoe Helsing: Ihr Interesse an Dracula verschwindet ebenso plötzlich wie er sich aus ihrer Gefangenschaft befreit. Die krebskranke Wissenschaftlerin schmeißt ihren Job hin, um auf den Tod zu warten. Trotzdem trinkt sie Draculas Blut, das sie ihm vorher zu Testzwecken abgezapft hatte. Das Ergebnis ist aber keineswegs die wundersame Heilung ihrer Krebserkrankung. Vielmehr spukt nun der Geist ihrer Vorfahrin in ihrem Kopf herum. Schwester Agatha ist immer noch davon besessen, die Schwächen von Dracula aufzudecken. Eher zufällig wird Zoe wieder in die Geschichte hineingezogen. Von der coolen Gegenspielerin, die Dracula mit Schwester Agatha hatte, ist aber nicht viel übrig geblieben.

 

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Blutleeres Finale

Mit viel Wohlwollen kann die finale Episode durchaus als kritischer Blick auf den Hedonismus und die Oberflächlichkeit unserer Zeit betrachtet werden. Aber insgesamt lassen Moffat und Gatiss mit dieser platten Auflösung den anfänglich so großartig eingeführten Charakter doch ins Leere laufen. Auch für die Figur von Dolly Wells, Schwester Agatha/ Zoe Helsing, fällt ihnen keine spannende Entwicklung ein. Spätestens wenn sich sämtliche Schwächen des Vampirs wie Sonnen-Allergie und Kreuz-Phobie sich lediglich als durch Vater-Komplex verursachte Einbildungen herausstellen, ist das Maß voll. Als Therapeutin ist die totkranke Helsing zur Stelle, die ihn von seiner unbewussten Todesangst befreit. Denn – ja auch nicht unbedingt originell – krankes Blut tötet den Vampir. Endlich!

Der Sprung ins 20. Jahrhundert wirkt eher wie eine Pflichtübung, bei der Moffat und Gatiss versuchen, das Erfolgskonzept von "Sherlock" auf "Dracula" zu übertragen. Letztendlich vergeigen sie damit aber im letzten Drittel die bis dahin sehr gelungene Serien-Adaption des Vampir-Klassikers.

Das perfekte Finale von "Dracula" ist eigentlich der Cliffhanger am Ende der zweiten Episode!

 

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