Comici d'amore

Italien, 1964

FilmDokumentation

Min.90

Ein Schwenk über ein italienisches Postkartenmotiv, eine Gruppe diskutierender Menschen auf einer Piazza, ein Schnitt mitten in die lebhafte Runde hinein: Es sind Kinder und vorwiegend Buben, die Pasolini zu Beginn des Filmes fragt: »Wer von euch kann mir sagen, wie die kleinen Kinder geboren werden?«
Ohne Umschweife führt dieser Beginn mitten in das Zentrum des Films, zur Frage, was Italiener und Italienerinnen zu Sexualität denken, zu ihren Wertungen, Wünschen und Tabus. Ort der Handlung ist der öffentliche Raum, eine inszenatorische Entscheidung, mit der die gesellschaftliche Dimension des Themas postuliert ist.
Im Jahr 1963 reist der Autor und Regisseur Pasolini quer durch Italien. Es ist ein Italien großer Widersprüche, ein Land des Fortschritts und der Rückständigkeit, des Katholizismus und der Doppelmoral. Die Scheidung ist noch nicht erlaubt, in manchen Regionen ist es für junge Frauen tabu, sich in öffentliche Gespräche zu mischen, Prostitution ist selbstverständlicher Teil der Gesellschaft.
Pasolini stellt seine offenen, direkten und erfrischenden Fragen Menschen aus verschiedenen Schichten der italienischen Gesellschaft. Er fragt sie in den Hinterhöfen Palermos, an den Stränden Venedigs, auf den Straßen Neapels, vor einer Fabrik in Mailand und auf den Feldern Kalabriens. Welche Rolle spielt Sexualität für sie? Wie stehen sie zur Scheidung? Zur Schließung von Bordellen? Zu Homosexualität? Zur Gleichstellung von Mann und Frau? Die Antworten sind mitunter amüsant, oft auch bestürzend. Pasolini fragt nach und gibt sich nicht schnell zufrieden - Cinéma vérité at its best.

Wie bei einem Puzzle entsteht in COMICI D'AMORE ein umfassendes Bild der italienischen Gesellschaft. Facettenreiche Formen männlichen Chauvinismus werden ebenso sichtbar wie immer wieder aufflackernde Veränderungswünsche (vor allem von Frauen). Aufbrüche sind spürbar. Im Verlauf des Films spitzt Pasolini den Inhalt immer stärker auf die Frage der Prostitution zu. Im letzten der - den Film strukturierenden - Kapitel sprechen weibliche Prostituierte auf einer Straße in Neapel über ihreSituation, auch eine Gruppe von Männern diskutiert aus ihrer Sicht das Thema. (Hier wird am häufigsten im Film der Ton weg- und das Wort »Autocensura« eingeblendet).
Aus dieser letzten dokumentarischen springt Pasolini in eine fiktive Szene: Wir sehen Hochzeitsvorbereitungen und hören Musik aus den Sechzigern. Die Braut kleidet sich in Weiß, der Bräutigam nähert sich durch die engen Gassen mit dem Hochzeitsstrauß. Nach der Hochzeit wird eine Erinnerungsfoto gemacht und Pasolini schließt im Off mit Glückwünschen und dem Wunsch: »... Möge zu eurer Liebe das Bewusstsein eurer Liebe hinzukommen.« Mit diesem Ende gelingt Pasolini nicht nur der wunderbare Schluss eines Dokumentarfilms, sondern auch ein bemerkenswerter diskursiver Vorgriff auf die spätere und bis heute anhaltende Diskussion des Verhältnisses von Fiktion und Dokumentation. Und nicht zuletzt wirft er durch diese inhaltliche und formale Verdichtung der Themen Prostitution und Hochzeit - nonchalant - einen Hinweis auf die komplexen Beziehungen zwischen Patriarchat, Hypokrisie und Liebe in die Welt. (Karin Berger)

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