Filmkritiken

TOTENKOPF UND SPIONIN

von

Alexandra Seibel
Alexandra Seibel

02/25/2015, 11:00 PM

Von Langeweile keine Spur. Selten waren Besuche im Museum so aufregend, die alten Meister so jugendlich. Mit offenem Mund starren Menschen gebannt auf Gemälde von Rembrandt und Rubens, Tizian und Turner, Pissarro und Picasso. Befeuert von den leidenschaftlichen Vorträgen der exzellenten Kunstvermittler, grübeln die Zuhörer fasziniert über Figuren, deren Schicksal vor Hunderten von Jahren festgehalten wurde: Was hat der verzerrte Totenkopf in Holbeins Bild "Die Gesandten" zu suchen? Handelt es sich um das übliche "Memento mori" ("Gedenke des Todes"), oder verweist er auf einen Mord?

Was empfand Rubens’ rätselhafte Delilah, nachdem sie ihren Geliebten Samson verraten hatte? Triumph? Mitleid? Vielleicht sogar Reue? Spionagegeschichte, Krimihandlungen, Märtyrerschicksale: Wem bei dem Wort "Alte Meister" üblicherweise das Gesicht einschläft, sollte sich von Frederick Wiseman eines Besseren belehren lassen. Aufgewühlte drei Stunden durchmisst der amerikanische Doku-Veteran die National Gallery in London, eines der attraktivsten Museen der Welt. Dort wälzen sich bei freiem Eintritt jährlich über vier Millionen Besucher durch die Säle und stehen kilometerlang Schlange, um in eine Da-Vinci-Ausstellung zu gelangen.

Berühmt geworden für seine legendären institutionskritischen Dokus über Spitäler, Schulen oder Polizeistationen, wendet sich Wiseman nun verstärkt Orten der Bildung und der Kultur zu. Von Gesellschaftskritik ist in "National Gallery" wenig die Rede, stattdessen geht es um einen emphatischen Anspruch auf Kunstvermittlung. Stakkatoartig schneidet Wiseman im Schuss-Gegenschuss-Blickwechsel zwischen den Gesichtern auf den Gemälden und denen der Besucher hin und her. Und das ist es auch, was ihn am meisten interessiert: Der dialogische Austausch zwischen Betrachter und Bild – ein Aspekt, den beispielsweise Johannes Holzhausen in seiner Doku "Das große Museum" über das Kunsthistorische Museum in Wien ausblendete.

Wiseman blickt zwar auch hinter die Kulissen: So wehrt sich der scheidende Direktor Nicholas Penny vehement dagegen, die Museumsfassade für Werbezwecke zu verleihen ("Harry Potter war eine Katastrophe"). Auch Restaurierungsarbeiten dokumentiert Wiseman mit der Eindringlichkeit einer Operation am offenen Herzen.

Doch letztlich geht es um das Credo "Kunst für alle": Wer nicht sehen kann, fährt in einem Spezialworkshop mit den Händen die Relieflinien eines Bildes nach. Wer noch klein ist, hört sich in der Kinderführung mit heißen Ohren die Geschichte von Baby Moses an. Und selbst die Besucher, die auf den Bänken eingeschlafen sind, sehen irgendwie zufrieden aus.

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