Ein Blick auf alte Verbrechen
Ein Blick auf alte Verbrechen

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Filmkritiken

Der Geschmack von Blut

von

Alexandra Seibel
Alexandra Seibel

11/04/2015, 11:00 PM

Menschliches Blut schmecke salzig und süß, erzählt ein zahnloser Greis, der auf den ersten Blick harmlos aussieht. Das wisse er, weil er selbst Blut getrunken habe. Warum? Um nicht verrückt zu werden. Denn wer zu viel mordet, muss Blut trinken, um bei Verstand zu bleiben.

Die Morde, von denen der Mann spricht, waren Teil der indonesischen Massaker der Jahre 1965/66. Nach dem Sturz der Regierung durch das Militär wurden etwa eine halbe Million angeblicher Kommunisten hingeschlachtet – auf atemberaubend brutale Weise. Der faltige Alte ist einer jener reuelosen, niemals bestraften Massenmörder.

In seinem unfassbaren Film "The Act of Killing" dokumentierte US-Regisseur Joshua Oppenheimer diese Greueltaten. Eigentlich wollte er mit den Opfern sprechen, doch diese fürchten immer noch um ihr Leben. Stattdessen traf er auf auskunftsfreudige Ex-Killer.

Angestachelt von der Kamera, demonstrierten sie mit schamloser Bereitwilligkeit, wie sie Frauen die Brüste abschnitten oder Gefangene mit der Machete zerhackten. Dabei funkelte ihnen teilweise noch die Mordlust in den Augen, dass man sich beim Zusehen übergeben möchte.

Genau dieser Umstand machte "The Act of Killing" – bei allen seinen Verdiensten – auch so problematisch: Sie bot den Tätern die Bühne, um ihre Morde – teilweise lustvoll – zu "re-enacten". Nachdem im heutigen Indonesien die Mörder von gestern in wichtigen Positionen sitzen, brauchen sie sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen: Es sind die Angehörigen der Opfer, die sich fürchten müssen.

Was bedeutet es, in einer Gesellschaft zu leben, die ihre Vergangenheit nicht aufgearbeitet hat? Eine gute Lektion für all jene, denen bei dem Wort Vergangenheitsbewältigung das Gähnen kommt.

"The Look of Silence" macht dies besonders deutlich. Es handelt sich um den Komplementärfilm zu "The Act of Killing" und nimmt die Perspektive der Opfer ein. Adi, ein Optiker Mitte Vierzig, fragt seine Mutter: Wie es sei, täglich mit Nachbarn im Dorf konfrontiert zu sein, die ihr den Sohn – Adis älteren Bruder – hinrichteten?

"Ekelhaft", antwortet die alte Dame. Sie hoffe auf Gerechtigkeit im Jenseits – denn auf Erden werde sie die nicht mehr erleben. Tatsächlich trifft Adi bei seinen Kundenbesuchen auf die Mörder seines Bruders. Begleitet von Oppenheimer stellt er unliebsame Fragen – und wahlweise streiten sie ihre Schuld ab oder drohen mit Repressionen. Von Reue keine Spur.

Nur einmal begegnet er einer Frau und ihrem alten Vater. Sie wäre als Kind immer stolz auf den Papa gewesen, weil er so viele Kommunisten getötet habe, erzählt sie dem niedergeschmetterten Adi. Auf einmal beginnt sich der senile Greis an ihrer Seite zu regen. Plaudert unvermutet von abgeschnittenen Köpfen und Blutgetränken. Wellen der Fassungslosigkeit laufen über das Gesicht der Tochter und lassen sie schließlich ein "Verzeihen Sie meinem Vater" stammeln.

Dass die Vergangenheit nicht tot, ja nicht einmal vergangen ist, beweist der Abspann: Fast ein Drittel aller Mitarbeiter muss sich hinter dem Namen " Anonymous" verstecken.

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