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Zensur-Vorwürfe von Pixar: Ist Disney homophob?

Pixar wirft Disney vor, LGBTIQ-Themen zu zensieren. Wir erklären, wieso das nicht sein darf – und wieso queere Sichtbarkeit so wichtig ist.

von

Manuel Simbürger
Manuel Simbürger

03/16/2022, 10:59 AM

Die Welt von Disney ist kunterbunt, fröhlich, herzergreifend. Jede und jeder hat hier seinen Platz, hier werden Wünsche wahr und Träume zur Realität, denn wenn Teppiche fliegen, Autos sprechen, Frösche zu Prinzen und Prinzen zu Biester werden, dann weiß man einfach: Alles ist hier möglich. Und alle werden geliebt, denn in jedem und jeder von uns stecken HeldInnen. 

Das will uns der Mauskonzern, dank Übernahme verschiedener Produktionsfirmen und Franchises wie "Star Wars" oder Pixar der mächtigste Player Hollywoods, zumindest weiß machen. Aber zwischen all dem Getanze, Gesinge, Gequietsche und Geträume ist der Himmel gar nicht so fetzblau, wie er aus der Ferne aussieht. Zwischen all den Farben erkennt man erst sehr spät, dass der Regenbogen fehlt. Und dass Inklusion, Toleranz und Gleichstellung im Disney-Universum nicht allzu groß geschrieben werden.

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Pixar erhebt schwere Anschuldigungen gegen Disney

Aktuell hängen dunkle, schwere Regenwolken am ansonsten so glitzernden Disney-Himmel. Im Rahmen des in Florida verabschiedeten "Don't Say Gay Bill"-Gesetzes, das es verbietet, sexuelle Orientierung und Gender-Identität in hiesigen Volksschulen zum Unterrichtsthema zu machen, hat Pixar nämlich umso lauter "Gay!" gesagt.

In einem öffentlichen Brief erhebt das Animationsstudio, das Hits wie "Toy Story", "Findet Nemo" oder "Cars" hervorgebracht hat und seit 2006 zur Walt Disney Company gehört, schwere Vorwürfe gegen seinen Arbeitgeber. Der Kern des Anstoßes: Disney-CEO Bob Chapeks Reaktion auf das diskriminierende Gesetz. "Den größten Effekt bei der Erschaffung einer inklusiveren Welt können wir durch unsere inspirierenden Inhalte erreichen", ließ er laut "Variety" verlautbaren.

Hat Disney ein Problem mit Queerness?

Klingt doch gut, alles chilli-vanilli, möchte man meinen. Oder etwa nicht? Denn Pixar schien sich scheinbar zu fragen, von welchen "inspirierenden Inhalten" der Ober-Chef eigentlich sprach – und prangerte unverhohlen dessen Scheinheiligkeit an.

Der größte Vorwurf Pixars an Disney ist nämlich: Der Mauskonzern habe in der Vergangenheit immer wieder verlangt, LGBTIQ-Storyplots in Pixar-Streifen (die sich per se als progressiver und mutiger zeigen als ihre Disney-Pendants) zu zensurieren, diese aus den Filmen also zu streichen. Auf die Proteste der Pixar-MitarbeiterInnen sowie der Pixar-Geschäftsführung ging man dabei nicht ein.

Zudem sei Disney zwar am Geld interessiert, das man mit Pride-Merchandising verdiene, so Pixar, aber gleichzeitig sei der Konzern nicht dazu bereit, tatkräftig für eine gesellschaftliche Verbesserung der LGBTIQ-Community einzustehen. Der Brief (den "Variety" veröffentlichte) strotzt vor Emotionalität – vor allem vor blankem Zorn und tiefer Enttäuschung.

Auch außerhalb von Pixar – aber innerhalb des Disney-Universums – hat man scheinbar genug, über die Doppelmoral von Disney zu schweigen. So hat sich Marvel Studios (ebenfalls unter Disney-Hand) mittels Instagram mittlerweile zur Causa zu Wort gemeldet und der LGBTIQ-Community ihren Support versichert. Somit stellen sie sich – zumindest zwischen den Zeilen – auf die Seite von Pixar:

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Sogar bei Disney selbst hat man nun scheinbar genug. Bekräftigt vom öffentlichen Brief von Pixar versammelten sich zahlreiche (queere, aber auch heterosexuelle) Disney-Angestellte zu einem Walk-Out, berichtet ebenfalls das Branchen-Blatt "Variety". Dafür wurde sogar ein eigenes Twitter-Profil erstellt – inklusive Bedingungen für mehr Solidarität und unter dem Motto: "We Demand Better!" So märchenhaft geht's in den Disney-Büroräumen wohl echt nicht zu ...

Und in den Chefetagen? Dort schweigt man sich bisher über die Causa aus, ein öffentliches Statement gibt es bis dato noch nicht. Dafür hat sich Chapek intern mit einem Brief entschuldigt, der sich jedoch eher nach Schadensbegrenzung als nach ehrlich-reflektiertem Bedauern anhört. Den Angestellten ist das verständlicherweise zu wenig. 

Kommst du nicht vor, existierst du nicht

Dann halt kein schwules Spielzeug, keine lesbische Superheldin, kein transsexueller Seestern, meinst du? Ist ja sowieso alles nur harmlose Unterhaltung, die nichts mehr bringen soll als Spaß und Entspannung, sagst du? Dann liegst du leider falsch. Denn das Löschen von LGBTIQ-Themen in Pixar-Blockbustern kommt dem Löschen von queeren Existenzen in der realen Welt gleich.

Mehr als in allen anderen Kunstformen geht es im Mainstream um Sichtbarkeit. Sehen und gesehen werden. Filme (und klar, auch Serien) sind das Fenster zur Welt, Popkultur der Spiegel des Weltgeschehens. Es ist wie beim Opernball: Kommst du nicht vor, bist du nicht dabei. Dann existiert du nicht. Sichtbarkeit ist der wichtigste Aspekt, wenn es um gesellschaftliche Gleichstellung geht. Mehr noch: Wenn es um gesellschaftliche Veränderung geht. Denn Sichtbarkeit hilft, Vorurteile und Ängste beim Publikum abzubauen.

Mainstream kann die Gesellschaft verändern

Aufgrund seiner Fähigkeit, die große Masse niederschwellig zu erreichen, wohnt dem Mainstream eben diese Macht der gesellschaftlichen Veränderung inne. Mainstream (man kann auch sagen: Geschichten) kann aktiv in die Gesellschaft eingreifen. Daran erinnern, dass es mehr gibt als das heternormative Konzept von Sexualität. Daran erinnern, dass die Welt ganz viele verschiedene Farbstückerl spielt.

Mainstream kann sich einengenden Gesellschaftskategorien und -strukturen widersetzen. Befreiende Alternativen aufzeigen. Und das, im Falle von Pixar, im kunterbunten, fröhlichen, leicht verdaulichen und breitenwirksamen Gewand. Magenschläge austeilen, ohne dabei Magenschmerzen zu riskieren, quasi. 

Filme sind Eintauchen in eine fremde Welt. Die Einladung, das Leben mit anderen Augen zu betrachten. Weshalb es sich beim Filmschauen wie beim Lesen verhält und es durchaus pädagogische Züge aufweist – weshalb es gerade in Kinderfilmen so wichtig ist, auch Themen außerhalb der Norm anzusprechen:

Filme üben nämlich in Empathie. Filme sind Denken mit einem fremden Gehirn. Filme sind ein Friedensprojekt und ein aktiver Widerstand gegen Intoleranz und veraltete Normen zugleich. Und das ganz bequem und unterhaltend nebenbei. Spielerisches Lernen, wie es so schön heißt. 

Denken wir doch mal genauer drüber nach: Wollen wir wirklich unseren Kindern eine Welt präsentieren, die nicht mehr zeitgemäß ist, ja in ihrem auslöschenden Subtext gar gefährlich ist? Ihnen glauben machen, dass wir in einer Welt leben, in der jede/r gleich aussieht, gleich spricht, gleich liebt? Machen wir Kinder mit einer Welt vertraut, wie sie wirklich ist, erziehen wir sie auch zu weltoffenen Erwachsenen.

Halten wir uns vor Augen: Filme besitzen die Macht, etwas zu normalisieren, das Menschen ansonsten vielleicht nicht verstehen. Auch, weil es ihnen fremd ist. Doch Mainstream kann Unbekanntes im Bekannten vertraut machen. Und wieder: ganz spielerisch, ganz nebenbei, ganz unterhaltsam. Behutsam.

Der Musiker Konstantin Wecker, der sich seit fast fünf Jahrzehnten für eine Welt ohne Waffen und Grenzen einsetzt, sieht die Sache ein bisserl anders, aber dann doch wieder genau gleich: Er sagte einmal: "Poesie und Musik können vielleicht die Welt nicht verändern, aber sie können denen Mut machen, diese verändern zu wollen." Für Filme gilt dasselbe. 

Sichtbarkeit kann Leben retten

Das queere Pferd lässt sich natürlich auch von hinten aufsatteln, denn umgekehrt, also für LGBTIQ-Personen selbst, sieht die weltverändernde Macht von Filmen nicht anders aus: Sichtbarkeit in Medien, besonders im Mainstream, kann queeres Leben retten. Vorm seelischen Verfall bewahren, weil sie der Treibstoff unseres Leben sind.

Und weil nichts schlimmer ist, als für die Welt unsichtbar zu sein, obwohl man doch einfach nur dazugehören möchte. Andersrum gesagt: Sichtbarkeit bedeutet, dass man Teil der Gesellschaft ist und als solcher auch anerkannt, respektiert wird. 

Deshalb ist es umso wichtiger, durch das Fenster zu Welt Geschichten präsentiert zu bekommen, die Menschen zeigen, die so sind wie ich. Du. Wir. Und die Charaktere zeigen, mit denen ich mich identifizieren kann, mit denen ich Eins sein kann. Die meine Wünsche ausleben. Das Anders-Sein zelebrieren. Einen Ausweg aus mein Dilemma zeigen. Die beweisen, dass normal sein nichts mit Norm zu tun hat. Dass es "Normal-Sein" gar nicht gibt. 

Plötzlich weiß die queere Person, noch verwirrt aufgrund all seiner/ihrer Gefühle, die ihn/sie scheinbar zum/zur gesellschaftlichen AußenseiterIn machen: Ich bin nicht alleine. Es ist vollkommen okay, wie ich bin. Ich habe einen Platz in der Gesellschaft. In der Welt. Auf der Leinwand. Was du sehen kannst, kannst du auch sein. Filme zeigen nicht nur, wie die Welt ist, sie zeigen auch, wie sie sein könnte. Nicht zu vergessen: Metaphern (mit denen Pixar-Filme zuhauf arbeiten) helfen zusätzlich, Worte für das innere Geschehen zu finden. 

Pixar-Filme im Speziellen helfen uns zu erkennen, dass es Licht, Wärme und Farben, Hoffnung, Liebe und Freude gibt. Dass das Leben lebenswert ist. Aber nur dann, wenn in der Farbpalette nicht aussortiert wird. 

Also: Ja, es macht einen Unterschied, wenn das Spielzeug schwul, die Superheldin lesbisch oder der Seestern transsexuell ist. Einen großen sogar. Die Walt Disney Company, die seit jeher zeitlose Werte wie Freundschaft, Familie, Mut, Liebe und Selbstfindung propagiert, sollte das eigentlich wissen. 

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