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Filmkritik

„Waldheims Walzer“: Die dünne Decke der Zivilisation

Ruth Beckermann wirft einen Blick ins Archiv und ruft uns eine kollektive Niederlage wieder in Erinnerung.

von Oezguer Anil

10/01/2018, 11:09 AM

Österreich in den 80ern. Zehn Jahre lang war Kurt Waldheim UN-Generalsekretär. Mit 67 Jahren hat der international renommierte Staatsmann aus Österreich noch immer nicht genug von der Politik und kandidiert 1986 als österreichischer Bundespräsident. Ins Rollen kam die Waldheim-Affäre durch seine Autobiografie, in der er seine zweijährige Tätigkeit beim Wehrmachtsnachrichtendienst am Balkan nicht erwähnt hatte. Vor den Wahlen werden brisante Dokumente vom Profil und der New York Times veröffentlicht, die Österreich wieder in die Weltöffentlichkeit rücken. Daraus resultiert eine breite Anhängerschaft für Waldheim, die eine internationale Verschwörung hinter den Anschuldigungen sieht.

PROTESTIERENDE FILMEMACHERIN

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Durch die Waldheim–Affäre wurde an dem Mythos gerüttelt, dass Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus war. Das erste Mal setzte man sich kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinander, was dazu führte, dass sich eine Zivilgesellschafft formierte, die sich öffentlich gegen Waldheim aussprach. „Waldheims Walzer“ ist eine Montage aus Fernsehbeiträgen und selbstgedrehtem Schwarz-Weiß-Archivmaterial von Beckermann. Die Filmemacherin protestierte damals auch gegen Waldheim und macht kein Geheimnis daraus, dass sie Aktivistin und Filmemacherin zugleich war. Ihr auf der Berlinale preisgekrönter Dokumentarfilm ist neben ihren selbst gedrehten Bildern auch mit einem Off-Text kommentiert, die ihren subjektiven Blick auf die damaligen Ereignisse verdeutlichen sollen.

POPULISMUS

Die Idee einen Film über dieses Thema zu machen, hatte die Filmemacherin bereits 2013. In den letzten fünf Jahren wurde ihr Werk leider immer aktueller. Wenn man „Waldheims Walzer“ sieht, fühlt man sich auch als politischer Mensch stellenweise entlarvt. Man beschwert sich fast täglich über diese oder jene Reden von Politikern und merkt durch Beckermanns Film, wie die gleichen rhetorischen Floskeln schon vor über dreißig Jahren angewendet wurden. Der Vorwurf der „großangelegten Hetzkampagne“  ist genauso wenig eine Erfindung des 21. Jahrhunderts, wie die Verleumdung von Medien. Das mag für ältere Generationen keine Überraschung sein, aber vor allem für junge Menschen dürfte „Waldheims Walzer“ einen erhellenden Einblick in die Öffentlichkeitsarbeit von Politikern geben.

FILMGESCHICHTE

Die Art und Weise, wie damals in der Politik und in den Medien über Juden gesprochen wurde, ist heutzutage kaum vorstellbar, um so wichtiger ist es, dass Beckermann uns die nicht allzu weite Vergangenheit wieder ins Gedächtnis ruft. Zur Verteidigung Waldheims wird von einer jüdischen Weltverschwörung gesprochen, die Österreich schaden wolle, weshalb man sich „jetzt erst recht“ hinter ihn stellen solle. Beckermann lässt mit ihren Bildern tief in die österreichische Seele blicken. Einzig der nur kurz angeschnittene Israel – Palestina-Konflikt, in dem Waldheims Antisemitismus mit seiner Kritik an der Siedlungspolitik Israels in Kontakt gebracht wird, wirkt hier deplatziert. „Waldheims – Walzer“ ist ein wichtiges filmisches Dokument, das sowohl den hohen künstlerischen Ansprüchen der Filmemacherin als auch der politischen Brisanz ihres Themas gerecht wird. Beckermann schafft es hier, mehr als nur ein Stück österreichische Filmgeschichte zu schreiben.

9 von 10 umschlingenden Händen

Özgür Anil

Ein Film über Lüge und Wahrheit, über „alternative Fakten“, über individuelles und kollektives Bewusstsein.

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