"Alles Licht, das wir nicht sehen": Lohnt sich die Netflix-Serie?

"Alles Licht, das wir nicht sehen": Lohnt sich die Netflix-Serie?

© Netflix 2023

Filmkritiken

"Alles Licht, das wir nicht sehen": Lohnt sich die Netflix-Adaption?

Die Adaption des Anthony Doerrs Pulitzer-Preis-Romans schöpft sein volles Potenzial nicht aus und ergeht sich in Oberflächlichkeit und Schwarz-Weiß-Zeichnungen.

von

Manuel Simbürger
Manuel Simbürger

11/02/2023, 08:17 AM

In unserer Rubrik "Lohnt sich das?" stellen wir euch einmal wöchentlich einen Streamingtitel (Film oder Serie), der in aller Munde ist, vor, nehmen ihn genauer unter die Lupe und stellen für euch die altbekannte Frage: "Lohnt sich das überhaupt?" Lohnt es sich, dafür Zeit zu investieren? Ein Abo abzuschließen? Oder ein Abo zu beenden?

Diesmal: (Alle 4 Folgen von) "Alles Licht, das wir nicht sehen" auf Netflix

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Frankreich, 1944, Zweiter Weltkrieg: Die blinde Marie-Laure (Nell Sutton) und ihr Vater Daniel (Mark Ruffalo), der das gesamte Leben damit verbracht hat, seine Tochter auf ein selbstständiges Leben vorzubereiten, müssen aus dem von den Deutschen besetzten Paris fliehen. Grund dafür ist ein sagenumwobener und legendärer Diamant, der dem Besitzer zu ewigem Leben verhelfen soll – aber den Menschen, die ihm lieb sind, nur Leid bringt (hallo, "Der Untergang des Hauses Usher"!). Daniel ist im Besitz dieses Diamanten und will unbedingt verhindern, dass die Nazis ihn in die Finger bekommen.

Vater und Tochter finden Zuflucht in der nordfranzösischen kleinen Küstenstadt Saint-Malo, wo Marie-Laures Großonkel Etienne (Hugh Laurie) zurückgezogen lebt. Etienne ist Widerstandskämpfer und betreibt einen geheimen Radiosender. Eines Tages verschwindet Daniel spurlos – und die nun junge erwachsene Marie-Laure (Aria Mia Loberti) bleibt allein zurück. Mittels dem Radiofunk ihres Onkels (zu dem sie nur im Geheimen Kontakt haben darf) sendet sie persönliche Nachrichten an ihn und ihren Vater – aber auch versteckte Botschaften an den französischen Widerstand. 

Genau diesen Radiosender entdeckt der junge Nazi Werner (Louis Hoffmann), seit jeher ein Wunderkind, wenn es um Radiotechnologie geht. Vom Hitler-Regime wurde er dazu beauftragt, illegale Radiosender aufzuspüren. Doch Werner, eigentlich ein durch und durch guter Kerl, verliebt sich in die Stimme von Marie-Laure und verrät seine Entdeckung nicht. Die junge Frau schenkt Werner Hoffnung und gibt ihm den Glauben an eine bessere Welt zurück. Parallel zueinander versuchen die beiden Seelenverwandten, das Grauen des Krieges zu überstehen ....

Mittendrin ist da noch der grausame Gestapo-Offizier Reinhold von Rumpel (Lars Eidinger), der todkrank ist und Jagd auf den eingangs erwähnten mysteriösen Diamanten macht. Um an sein Ziel zu kommen, kennt er keine Gnade.

Ein poetisches Märchen

Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Roman von Anthony Doerr auf dem Jahr 2014, ein Millionen-Bestseller (zumindest in den USA; im deutschsprachigen Raum floppte er pikanterweise) und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Schon Doerr wurde damals "Histokitsch" vorgeworfen, also eine schmalzige und verschönendere Auseinandersetzung mit düsteren Teilen der Menschheitsgeschichte.

"Alles Licht, das wir sehen" ist mit seiner lyrischen Sprache, dem Mix aus History und Mystery, den permanenten Zeitsprüngen und den sehr kurzen Kapiteln, die an Bild-Fragmente erinnern, kein Kriegsfilm, sondern ein Film, der während des Krieges spielt. Mehr noch: Er ist ein poetisches Märchen, eine Geschichte über Familie, Hoffnung, Verbundenheit, Unschuld, Liebe und das titelgebende Licht in der uns umgebenden und alles verschlingenden Dunkelheit.

Schmalziges CGI-Märchen

All das ist im Kern auch die vierteilige Prestige-Miniserie auf Netflix, geschrieben von Steven Knight ("Peaky Blinders") und inszeniert von Shawn Levy ("Free Guy", "Nachts im Museum", "Deadpool 3"). Eine historisch korrekte, ja gar nuancierte und nachhallende Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg (aus der Sicht von zwei jungen gegensätzlichen Menschen) darf man sich hier nicht erwarten, stattdessen stehen Kitsch, Märchenhaftes und Holzhammer-Metaphern im Vordergrund.

Das lässt sich schon bei einer der ersten Szenen erahnen: Marie-Laure lässt eine Flugblatt-Bombenwarnung (die sie nicht lesen kann) aus dem Fenster ihres Verstecks fliegen, unter ihr die brennende Stadt, rund um sie glühende Feuerfunken und andere Flugblätter. Da kommen unwillkürlich "Die fabelhafte Welt der Amelie"-Vibes auf, die Grausamkeit der damaligen Zeit spürt das Publikum nur bedingt – was auch großteils bis zum Ende der Serie so bleiben wird. Keine Frage, optisch fulminant inszeniert ist "Alles Licht" durchaus und orientiert sich dabei an der malerischen Bildsprache des Romans – doch wenn man durch die CGI-Überstilisierung nicht mal Luftangriffe auf den Küstenort wirklich ernst nehmen kann, weil alles so wunderschön ist, gibt's ein Problem. Es ist einfach alles zu dick aufgetragen in der Serie.

Schwarz und Weiß

Von Beginn an umgibt die Serie eine Aura des verschenkten Potenzials, was bei einer im Grunde starken literarischen Vorlage sehr ärgerlich ist. "Alles Licht" hätte eine faszinierende Psychoanalyse zweier strahlender Seelen während einer düsteren Zeit sein können, doch die Charakterisierung von Marie-Laure und Werner bleibt arg an der Oberfläche – und ergeht sich ironischerweise in klassischen Schwarz-Weiß-Zeichnungen

Marie-Laure ist moralisch unvollkommen, beinahe wie eine tapfere Disney-Prinzessin, die mit aller Kraft von den Ortbewohner:innen beschützt wird. Die Franzosen sind gut, die Deutschen durch und durch böse, von Rumpel ein wandelndes Klischee (das durch seine Horrorfrisur noch unterstützt wird). Werner ist der Gegenentwurf von von Rumpel, einer der ganz wenigen damaligen Nazis mit Herz, Verstand und Moral. Tapfer erträgt er Demütigungen und stellt sich seinen Kolleg:innen in den Weg – das mag eh süß sein, aber die innere Zerrissenheit, die Werner in sich tragen muss (er glaubt immerhin nach wie vor an das Hitler-Regime), wird von Knight und Levy vollkommen ignoriert.

Und auch andere Figuren wie Daniel und Etienne sind nicht mehr als zum Leben erweckte Charakterschablonen, wie man sie schon hundert Mal gesehen hat – und durchaus besser.

Für Subtiles ist bei Levy kein Platz

Die Serie hält sich in manchen Teilen stark an die Vorlage (was ihr jedoch nicht immer gut tut – die permanenten Flashbacks stören den Erzählflow), in anderen Aspekten aber nimmt sie sich größere kreative Freiheiten: Das Ende ist auf Netflix vollkommen anders geraten, kommt zu unvermittelt und antiklimaktisch daher. Auch setzt die Serie mehr auf Action als das Buch – was aufgrund des Erzählmediums durchaus verständlich ist, zur Spannung aber komplexerweise nur sehr wenig beiträgt. Zu früh gibt es Enthüllungen, zu schnell werden Cliffhanger aufgelöst, zu wenig geht man eine Verbindung mit den Charakteren ein. 

Man kommt einfach nicht von dem Gedanken los, dass Knight und Levy die falschen Personen für dieses Projekt waren – besonders Levy ist ausschließlich für seichtes Popcorn-Kino im Hau-drauf-Komödien-Fach bekannt. In seinen Filmen ist für Subtiles kein Platz – was man auch in "Alles Licht" bemerkt: Die ständigen Expositionsdialoge nehmen einem das eigenständige Denken ab, etwaige Metaphern (besonders die Bedeutung des Titels!) werden uns immer und immer wieder vorgekaut, die Sprache aller Figuren wirkt künstlich. Irgendwie wirkt es, als ob Knight und Levy nur die Zusammenfassung des Buches gelesen hätten.

Newcomerin Loberti ist große Entdeckung

Der Cast tut sein Bestes, um mit dem – nennen wir es mal – herausforderndem Drehbuch zurechtzukommen, viele der Darsteller:innen scheitern aber daran. Ruffalo vermischt (im Original) gleich mehrere Dialekte auf einmal und kann auch sonst sein im Grunde vorhandenes Talent nicht unter Beweis stellen. Laurie geht es ähnlich, auch wenn seine Szenen dank seiner Präsenz mehr Eindruck hinterlassen. Hoffmann kommt über den immer selben "Ein-erschrockenes-Reh-blickt-in-Autoscheinwerfer"-Blick nicht hinaus und Eidinger spielt derart eitel und sich seiner selbst bewusst, dass man ihn nur schwer ernst nehmen kann.

Einzig Newcomerin Loberti als Marie-Laure schafft es, uns halbwegs Einblicke in die tapfere, aber auch verängstigende Seele ihrer Figur zu gewähren und spielt mit großer Authentizität auf – wohl auch deshalb, weil Loberti selbst blind ist (auch die deutschen Rollen wurden ausschließlich von Deutschen gespielt). Es ist die allererste Rolle für Loberti und sie darf als große (Neu-)Entdeckung von "Alles Licht" angesehen werden. Sie ist die einzige der Serie.

2 von 5 Sternen
 

Für Fans von: "Im Westen Nichts Neues", "Schatten in meinen Augen", "Vergib uns unsere Schuld", Verfilmungen von "Das Tagebuch der Anne Frank",

Hier geht's zur Serie!

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