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Szene aus ORF-Serie "Biester"

© ORF/film.at

Filmkritiken

"Biester": Lohnt sich die neue ORF-Serie für junges Publikum?

Ist die Serie über Mädchen aus unterschiedlichen Wiener Sozialschichten ein "Vorstadtweiber" für junges Publikum?

von

Franco Schedl
Franco Schedl

02/19/2024, 09:39 AM

In unserer Rubrik "Lohnt sich das?" stellen wir euch einmal wöchentlich einen Streamingtitel (Film oder Serie), der in aller Munde ist, vor, nehmen ihn genauer unter die Lupe und stellen die altbekannte Frage: "Lohnt sich das überhaupt?" Lohnt es sich, dafür Zeit zu investieren? Ein Abo abzuschließen? Oder ein Abo zu beenden?

Diesmal: (Folgen 1-3 von)"Biester" auf ORF ON / ORF 1

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Drehbuchautor Ulli Brée erzählt offenbar gerne von Frauen, die bei ihm "liebevoll" tituliert als Weiber und Biester erscheinen. Mit "Vorstadtweiber" legte er vor wenigen Jahren einen großen Fernsehhit hin nun erzielt er mit "Biester" womöglich denselben Effekt. Ich musste ja bei diesem Titel zunächst unweigerlich an einen berühmten französischen Psychothriller von Claude Chabrol denken, in dem sich Isabelle Huppert und Sandrine Bonnaire als Haushaltshilfe und Postbeamtin mit einer Großbürgerfamilie anlegen, was tödliche Konsequenzen hat. 

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Zwischen Döbling und Floridsdorf

Ganz falsch ist so ein Vergleich nicht, denn auch in der österreichischen Produktion stehen Klassenunterschiede im Mittelpunkt und sorgen für Spannungen zu Mord und Totschlag wird es dabei hoffentlich nicht kommen (obwohl man da gar nicht so sicher sein kann, wenn man etwa an "Vorstadtweiber" denkt). 

Die Hauptfiguren sind vier Mädchen, von denen zwei Schwestern Penelope "Nelly" und Tiziana "Tizi" (Fanni Schneider und Theresa Riess) aus reichem Döblinger Haus stammen, während die beiden Freundinnen Jenny und Vero (Anja Pichler und Mara Romei) der Floridsdorfer Arbeiter:innenschicht angehören, in einem Nagelstudio oder im Paketzentrum der Post malochen und sich nach dem "besseren Leben" voll Luxus, teuren Klamotten und edlen Vorortvillen sehnen. 

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Social-Media-Mädels

Zehn Folgen zu je 45 Minuten erzählen ihre Geschichte, wir werden gleich zum Einstieg mit einem sehr dramatischen Moment konfrontiert, der allerdings eine Rückblende erfordert. Das erste Aufeinandertreffen der vier Mädels ist dramaturgisch genial gelöst, die Figuren gewinnen bereits nach wenigen Dialogzeilen ein festumrissenes Profil. 

Auch später sorgen geschickte Parallelmontagen dafür, dass sich die unterschiedlichen Lebensumstände einprägsam vor unseren Augen entfalten. Wie es sich für junge Menschen des 21. Jahrhunderts gehört, geben sie die Smartphones nicht so leicht aus der Hand und wir dürfen dank zahlreicher Postings zugleich ihr Social-Media-Leben mitverfolgen. 

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Newcomerinnen und altbewährte Filmprofis

Die vier Newcomerinnen bringen frischen Wind in die österreichische Serienwelt und werden durch ihr authentisches Spiel wohl viele Fans gewinnen. Bekannte Namen sind übrigens ebenfalls vertreten: Ursula Strauss und Simon Schwarz erleben wir als die reichen Eltern voller Wohlstands-Tristesse und durchaus dunkler Geheimnisse, Claudia Kottal spielt Anjas arbeitslose Mutter und hat in dieser zunächst sitzenden Rolle den Schmäh laufen (und wer uns einreden möchte, dass Kottal und Pichler im wahren Leben nicht ebenfalls Mutter und Tochter sind, würde auf Unglauben stoßen). Trockener Wortwitz ist überhaupt angesagt, zum Beispiel, wenn Tizi vom Vater über den neuen Freund ausgefragt wird und als dessen Beruf "Selbstmordattentäter auf dem zweiten Bildungsweg" nennt.

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Lohnt sich die ORF-Serie "Biester"?

Hier ist unverkennbar ein echter Drehbuchprofi am Werk: Was zuerst auseinanderzustreben scheint, ergibt am Ende der ersten Folge bereits ein perfektes Ganzes. Es ist ein reines Vergnügen, nachzuverfolgen, wie diese unterschiedlichen Figuren miteinander in Beziehung gesetzt werden und alle Szenen mit offenbar zwangloser Logik ineinandergreifen. 

Dabei vergisst man auch ganz, nachzugrübeln, wie logisch es eigentlich ist, dass hier jede(r) jede(n) kennt und alle irgendwie miteinander in Verbindung stehen. Brée betreibt jedenfalls keine Schwarz-Weiß-Malerei: seine Figuren haben Ecken und Kanten und reagieren oft anders als erwartet, denn sie können auch unverhofft über sich hinauswachsen.

Für Wiener:innen wird die Serie obendrein zu einer unterhaltsamen Stadttour, da die Schauplätze auf Anhieb leicht identifizierbar sind. Auch ansonsten heißt es die Augen offenhalten, weil hier selbst auf kleinste Details Wert gelegt wird, was sich etwa durch einen Rechtschreibfehler bemerkbar machen kann: So hängt auf dem Gang des Sozialbaus ein handschriftlicher Zettel, der den kaputten Lift als "defeckt" bezeichnet.

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Der Titel soll selbstverständlich ganz und gar nicht abwertend gemeint sein, sondern ein Lebensgefühl junger Frauen ausdrücken, die sich nicht unterkriegen lassen – oder, in Uli Brées eigenen Worten: "Biest sein heißt, eine Freundin sein. Biest sein heißt, sich selbst treu zu bleiben. Biest sein heißt, an seine Träume zu glauben." Beim Regieführen haben sich die ebenfalls "Vorstadtweiber"-erfahrene Mirjam Unger und Andreas Kopriva die Arbeit geteilt.

"Biester" kommt auch noch eine richtige Vorzeigefunktion zu, denn das neue Streamingportal ORF ON wurde durch diese Produktion am 1. Jänner 2024 eröffnet. Mit einer schöneren Überraschung kann das neue Jahr gar nicht beginnen, es lässt sich ohne Übertreibung sagen: Das sind wohl die besten Serien-Biester, die man in Österreich bis dato zu sehen bekommen hat.

4 1/2 von 5 Sternen

Für Fans von: "Vorstadtweiber", "Die Migrantigen", "Euphoria", "Èlite"

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