Taylor Kitsch als OxyContin-abhängiger Glen Kryger in "Painkiller"

Taylor Kitsch als OxyContin-abhängiger Glen Kryger in "Painkiller"

© KERI ANDERSON/ NETFLIX

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"Painkiller": Die wahre Geschichte der Netflix-Serie

Pro Tag sterben 100 Menschen in den USA wegen der Opioid-Krise. Das ist die wahre Geschichte von "Painkiller".

von

Maike Karr
Maike Karr

08/16/2023, 12:38 PM

"Painkiller" startet mit einer sichtlich nervösen Frau, die folgendes sagt: "Die Serie beruht auf wahren Begebenheiten. Einiges wurde jedoch aus dramaturgischen Gründen frei erfunden. Nicht erfunden ist die Tatsache, dass meinem Sohn im Alter von 15 Jahren OxyContin verschrieben wurde. Er lebte viele Jahre mit der Sucht und starb schließlich mit 32 ganz allein, in Eiseskälte auf einem Tankstellenparkplatz. Wir vermissen ihn." 

Hier erfahrt ihr die Hintergründe zur neuen Netflix-Serie und wie viel Wahres sich dahinter verbirgt, einschließlich der schockierend hohen Todeszahlen der Opioid-Krise, dem Mann, der damit Milliarden erwirtschaftet hat: Richard Sackler, seiner Firma Purdue Pharma und ihrem Produkt OxyContin.  

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Was ist OxyContin? 

Laut der "Süddeutschen Zeitung" wurde OxyContin von Purdue Pharma, der Firma der Sacklers, entwickelt, 1995 für die Langzeitanwendung zugelassen und 1996 auf den Markt gebracht. Obwohl OxyContin zur Hälfte aus dem süchtig machenden Opioid Oxycodon bestand, sollte das als Schmerzmittel verschriebene Medikament nicht süchtig machen. Doch warum? Durch eine besondere Ummantelung in Pillenform sollte Oxycodon gleichmäßig im Blutkreislauf der Patient:innen verteilt werden. Da es hier somit zu keiner Spitzenkonzentration kam, würden die Patient:innen nicht abhängig werden. So weit die Theorie. 

Das Problem dabei? Purdue Pharma führte keinerlei Studien durch, die ihre Aussagen beweisen würden. Deshalb wurden Menschen, die OxyContin einnahmen, sehr wohl abhängig und brauchten innerhalb kürzester Zeit eine immer höhere Dosis. OxyCodon löst ein High aus, das sich auf das Belohnungszentrum des Gehirns auswirkt. "Deshalb treten sofort starke Entzugs­symptome auf, wenn man sie absetzen möchte", wie "Republik" meldet. Deshalb kommen so wenige von OxyContin los. 

Um den Sicherheitsmechanismus zu umgehen, "zerstampften sie die Tabletten oder lutschten die Ummantelung ab. Zurück blieb pures Oxycodon, das sie wahlweise schnupften oder spritzten. Alternativ ließen die Pillen sich einfach zerkauen."

Schon 2007 hatte ein Gericht in Virginia die betrügerische Kennzeichnung und Vermarktung von OxyContin verurteilt. Purdue Pharma akzeptierte zwar eine Strafzahlung von 600 Millionen Dollar, die Sacklers kamen aber ungeschoren davon. 

Was ist Purdue Pharma? 

Purdue Pharma ist ein mittlerweile insolventes US-amerikanisches Pharmazie-Unternehmen, das 1892 von John Purdue Gray und George Frederick Bingham gegründet wurde. Seit 1952 befindet es sich vollständig im Besitz der Erben von Mortimer und Raymond Sackler. 

Berühmt-berüchtigt wurde Purdue Pharmer durch ihr erfolgreichstes Produkt OxyContin, das die Firma aber schließlich zum Fall bringen sollte: Da hunderttausende Menschen von dem darin enthaltenen Stoff Oxycodon abhängig wurden und letzten Endes starben, musste sich die Firma mehreren schwerwiegenden juristischen Vorwürfen stellen, die weder ihre Finanzen noch ihren Ruf überleben sollte. 

Matthew Broderick als Richard Sackler in "Painkiller"

Wer ist Richard Sackler? 

Laut der "Süddeutschen Zeitung" hatte die Familie Sackler, deren Wurzeln in Polen liegen, schon immer mit Medizin zu tun: "Sie waren Ärzte, Forscher, Verleger von Fachmagazinen und Marketingexperten." Doch sie waren auch eins: skrupellos. So hat der Onkel von Richard Sackler etwa in den 1960ern eine Werbekampagne gestartet, die den Tranquilizer Valium als "eine Art Hausmittel zur Behandlung von Alltagsängsten verharmloste". 

Familie Sackler gehörte das Pharmaunternehmen Purdue Pharmer, in dem Richard Sackler zuerst als Forschungs-, dann als Marketingchef die Entwicklung und aggressive Werbestrategie von Oxycontin verantwortete. Schließlich wurde er Präsident des Konzerns und dann Aufsichtsrat. 

Wurden die Sacklers verurteilt?

"Seit den Neunzigerjahren gab es Hunderte Versuche, Sackler zur Rechenschaft zu ziehen", auch 2018 kam wieder eine Anklage dazu. Es schien zuerst so, als ob die Milliardär-Familie hier erneut davonkommen würde, denn die Sacklers einigten sich mit ihren Kläger:innen 2021 auf eine Zahlung von 4,5 Milliarden Dollar und Immunität gegen weitere Strafverfolung, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtete. "Kurz vor Weihnachten kippte jedoch ein New Yorker Gericht diesen Deal: Nicht alle Kläger seien einverstanden. Weder die Höhe der Strafzahlung noch der Freispruch reflektierten die Schuld der Sacklers angemessen.", hieß es vonseiten einiger Kläger:innen.

Wie hoch war der Umsatz?

Bevor Purdue Pharmer 2019 insolvent ging, ließen sich die Sacklers noch ihre Dividenden in zweistelliger Milliardenhöhe ausbezahlen. "Bis heute soll das Medikament den Sacklers 35 Milliarden Dollar an Umsätzen beschert haben, das Familienvermögen wird auf 13 Milliarden geschätzt.", wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. 

Wie konnte es so weit kommen?

Das Medikament OxyContin wurde von Purdue Pharmer an seine Pharma-Vertreter:innen als harmlos und nicht abhängig-machend vermittelt. Diese Information wurde an Ärzt:innen und Apotheker:innen weitergegeben, die sich laut "Deutschlandfunk" auch von Reisen und teurem Essen ködern ließen, OxyContin mehr zu verschreiben. Die Mediziner:innen gingen daraufhin zum einen dementsprechend mit dem Schmerzmittel um und es wurde beinahe wahllos verschrieben. Zum Anderen wurden auch die Patient:innen über die scheinbare Harmlosigkeit von OxyContin informiert und nahmen ihr baldiges Suchtmittel völlig sorglos ein. 

Zudem kannten viele Amerikaner:innen Richard Sackler und seine Familie nur als Philanthrop:innen und großzügige Förderer von Bildung, dem Gesundheitswesen und Kunst: Im New Yorker Metropolitan Museum etwa ist ein ganzer Flügel nach den Sacklers benannt. Das hat sich durch die vielen schwerwiegenden Anklagen in den letzten Jahren zum Glück geändert. Zahlreiche Institutionen entfernten den Namen der Familie und akzeptierten keine Spenden mehr. So entfernte zum Beispiel die Londoner Serpentine Gallerie den Namen der Familie, wie die "Süddeutsche Zeitung" meldete. 

"Während die Sacklers regelmäßig wegen ihrer Großzügigkeit interviewt werden, sprechen sie fast nie öffentlich über ihr Familienunternehmen Purdue Pharma", fasst Patrick Radden Keefe in seinem Artikel "The Family That Built an Empire of Pain", auf dem auch die Netflix-Serie basiert, für "The New Yorker" zusammen. 

Wie schnell wird man süchtig?

Das Suchtpotential von OxyContin ist zwar viel geringer als das von gängigen Drogen wie Heroin, aber doch deutlich höher als von der Pharmaindustrie angegeben. Purdue Pharma hätte vor ihren Medikamenten sehr viel eindringlicher warnen müssen. So hätte man die Opioid-Krise vielleicht etwas abmildern können. 

Uzo Aduba als Ermittlerin Edie in "Painkiller"

So viele Tote durch Opioid-Krise wie durch Zweiten Weltkrieg 

Da Oxycodon ein chemischer Verwandter des Heroins ist, macht das Schmerzmittel OxyContin nicht nur relativ schnell süchtig, sondern verleitet auch dazu zu härteren Drogen wie Heroin zu greifen. OxyContin ist also "der Einstieg in eine noch schlimmere Sucht: Heroin, das billig ist wie nie, oder das ultraaggressive, oft in China hergestellte synthetische Opioid Fentanyl", wie die "Süddeutsche Zeitung" schreibt. An einer Überdosis von Fentanyl starb übrigens zuletzt Robert DeNiros Enkel mit 19 Jahren

Wie "Deutschlandfunk" meldet, ist gerade Fentanyl eine beliebte Alternative zu OxyContin, da es nur einen Bruchteil kostet. "Allerdings macht es in Windeseile abhängig." Um genauer zu sein, macht es laut "ZDF" 50 Mal so schnell abhängig wie Heroin. Dementsprechend schneller erreicht man auch eine (tödliche) Überdosis.

Im Gegensatz zur Crack-Krise in den 1980ern sind die Abhängigen nicht arme Menschen, sondern die Opioid-Krise spielt sich in der Mitte der amerikanischen Gesellschaft ab. Unter den Süchtigen sind Ärzt:innen, Anwält:innen und Politiker:innen. "Die Auswirkungen der Epidemie", schreibt Barry Meiers, Autor des Vorlagen-Buches "Pain Killer", "waren so weitreichend, dass die Lebenserwartung von weißen Männern in den USA zum ersten Mal seit über 20 Jahren gesunken ist." Das berichtet "Netflixwoche"

Wie viele starben an den Folgen?

Wenn man sich die Todeszahlen anschaut, die durch die Opioid-Krise ausgelöst wurden, stößt man stellenweise auf sich widersprechende Zahlen. Das liegt daran, dass manche Statistiken an einer anderen Stelle eine Grenze ziehen: Spricht man nur von einem OxyContin-Toten, wenn er durch ebendieses Mittel an einer Überdosis gestorben ist? Oder auch, wenn die Person durch OxyContin zum Heroinsüchtigen wurde und schließlich daran starb? 

Fest steht, dass in den letzten 20 Jahren mehr als eine halbe Million Menschen an den Folgen einer Opioid-Überdosis gestorben sind, wie die "Tagesschau" meldet. "Das umfasst sowohl verschriebene Schmerzmittel als auch illegale Drogen wie Heroin." Die Zahl der Toten der Opioid-Krise scheint sich in den letzten Jahren sogar noch gesteigert haben, denn mittlerweile sterben laut "The Guardian" 100.000 Amerikaner:innen pro Jahr und "Opioide sind die häufigste Ursache für vorzeitigen Tod" in den USA, wie "Deutschlandfunk" berichtet. Das Weiße Haus schrieb in einer Pressemitteilung, dass in diesem Jahr jeden Tag rund 130 Opioid-Süchtige gestorben sind.

Dass die Zahl der Opioid-Abhängigen in den letzten Jahren nur gestiegen ist, zeigt sich daran, dass die Nachfrage nach Naloxon –  ein Gegengift, das Patienten mit einer Überdosis als Nasenspray verabreicht wird und Menschenleben retten kann – seit 2017 um das 500-Fache gestiegen ist, wie "Deutschlandfunk" meldet. 

Neugeborene mit Entzugserscheinungen 

"Pain Killer"-Autor Barry Meier erzählt etwa, dass in vielen Krankenhäusern Neugeborene zur Welt kommen, die mit Entzugserscheinungen auf die Welt kommen und in den ersten Wochen ihres Lebens einen Entzug durchlaufen müssen, weil ihre Mütter opioidabhängig sind. Außerdem gäbe es in manchen Regionen so viele Drogentote, dass die Leichenschauhäuser überfüllt sind und man Kühlanhänger mieten muss, um die Leichen zwischenzulagern.

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